Schatz des Monats: Euryte – ein ganz besonderer Ruderfußkrebs
29. September 2020
Foto: UHH/CeNak, Mercado Salas
So kleine Exemplare wie der Euryte werden auf Objektträgern fixiert in der Sammlung gelargert. Diese Aufnahme ist mithilfe eines Konfokalmikroskops entstanden.
Er ist winzig klein und taucht trotzdem über 400 Meter tief: Unser Schatz des Monats stammt aus der Krebstiere-Sammlung (Crustacea) des CeNak und steht derzeit im Fokus der dortigen Forschungen. Das Team um Nancy Mercado Salas möchte genauer erfahren, wie sich dieser kleine Ruderfußkrebs (Kopepode) namens Euryte an seinen ungewöhnlichen Lebensraum – so tief am Boden des Ozeans – gewöhnen konnte und im Laufe seiner Evolution in völlig unterschiedlichen Umgebungen heimisch wurde. Das Präparat, das die Forscherinnen verwenden, stammt von einer der vergangenen IceAGE-Expeditionen an die Küste Islands. Die letzte Forschungsreise dieser Reihe fand im Sommer diesen Jahres statt – ihr ist derzeit im Zoologischen Museum eine fotografische Sonderausstellung gewidmet, die noch bis zum 1. Dezember kostenfrei besucht werden kann.
Gefunden wurde Euryte in vergleichsweise seichtem Gewässer – etwa 400 Meter tief an der Küste Islands. Das Team um Nancy Mercado Salas, der Leiterin der Crustacea-Abteilung, möchte anhand des kleinen Meeresbewohners die Evolutionsgeschichte der gesamten Tierart besser nachvollziehen können. Er wurde vor 9 Jahren während der IceAGE (Icelandic marine Animals: Genetics and Ecology) Tiefsee-Expedition gefangen, die das übergeordnete Ziel verfolgt, die morphologische, ökologische und genetische Vielfalt der Inselgewässer genauer zu studieren. Auch diesen Sommer konnte die CeNak-Forscherin mit ihren Kolleginnen an der Expedition teilnehmen. Erste genetische Untersuchungen der Familie Euryteidae, zu denen unser Schatz gehört, förderten zu Tage, dass sie die erste Gruppe war, die sich evolutionsbiologisch von ihren Vorfahren unterscheidet – eine sogenannte Nebenlinie.
Er ist nicht nur klein und taucht tief – Euryte ist auch sehr alt. Zugegebenermaßen nicht das gezeigte Exemplar, sondern seine gesamte Familie: Während die einzelnen Individuen nur wenige Wochen, höchstens Jahre alt werden, reicht ihre nachvollziehbare Vergangenheit viel weiter zurück. Bei der morphologischen Untersuchung fanden die Forschenden beispielsweise bis zu 26 Segmente an den Antennen der Krebstierchen. Eine aufschlussreiche Zahl, denn im Laufe der Evolution verloren ihre Artgenossen immer mehr dieser Segmente, sodass die jüngsten Verwandten der Ruderfußkrebsfamilie nunmehr über maximal 17 Segmente verfügen. Wie alt die Linie der Euryte genau ist, können die Forschenden derzeit nicht ganz genau definieren, denn aufgrund ihres fragilen Körperbaus und der geringen Länge von nur 850 µm existieren zu wenige intakte Fossilien, die hierfür notwenige Daten liefern könnten. Das Alter dieser Krebsgruppe wird aber in Fachkreisen auf über 300 Millionen Jahre geschätzt, wobei unser Schatz vermutlich einer ihrer früheren Vertreter ist. Das wissen die Forschenden, wenn sie sich den Evolutionsweg der Tiere genau rekonstruieren.
Euryte lebt im salzigen Ozean. Im Laufe der Evolution eroberten seine Rudelfußkrebs-Nachkommen zunächst das Brackwasser, bis sie sich sogar das Süßwasser zur Heimat machten. Dieser Evolutionsweg macht den Krebs für die CeNak-Forschung zusätzlich interessant: Zusammen mit zwei weiteren Arten, die im tropischen Pazifik in einer Tiefe von bis zu 4.000 Metern zu Hause sind, untersucht das Team um Nancy Mercado Salas das Tier, um zu verstehen, wie sie zur Invasion, Kolonisierung und Anpassung an neue, völlig unterschiedliche Umgebungen fähig waren. Diese Studie ist Teil der integrativen Biodiversitätsforschung der Abteilung Crustacea am CeNak, die die klassische Taxonomie mit molekularer Systematik und Populationsgenetik im Sinne der Evolution verbindet.
Tiefere Einblicke in die Tiefseeforschung erhalten Besucherinnen und Besucher des Zoologischen Museums, wenn sie mit unserer neuen Sonderausstellung „Expedition in die Tiefsee“ abtauchen. Hier gibt es eindrucksvolle Unterwasseraufnahmen zu bestaunen und eine filmische Dokumentation der letzten IceAGE-Expedition zu sehen. Aber Achtung: Der Tauchgang ist nur noch bis zum 1. Dezember möglich, dann verändert sich auch der Lebensraum am Zoologischen Museum und macht Platz für Einblicke in neue Abenteuer!