Paläoklimaforschung: Zurück in die Zukunft
8. April 2021
Foto: UHH, Hansen
Ulrich Kotthoff (links) und Viktor Hartung (hier vor vergrößerten Bernsteininklusen) haben die Ausstellung zum Eozän inhaltlich entwickelt.
Ulrich Kotthoff blickt in die Vergangenheit, um Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Pollenkörner und Einzeller aus Meeres- und Seeablagerungen, fossile Insekten und in Bernstein konservierte Lebewesen liefern dem Leiter des Geologisch-Paläontologischen Museum am CeNak detaillierte Berichte über das Leben in vergangenen Erdzeitepochen wie dem Eozän. So kann er frühere Ökosysteme rekonstruieren und Klimaänderungen der Vergangenheit ermitteln.
Ulrich Kotthoff im Interview:
Das Eozän liegt über 33 Millionen Jahre zurück. Wie genau können Paläontologen das Leben vor so langer Zeit erforschen?
Aus Sicht eines Geowissenschaftlers liegt das Eozän gar nicht so weit zurück. Wir haben daher relativ viele „Schaufenster“ in diese Zeit. Darunter fallen Tiefseeablagerungen, aber auch Ablagerungsgesteine aus früheren Seen, die man durch Forschungsbohrungen untersuchen kann. Die Grube Messel bei Darmstadt ist ein gutes Beispiel für einen solchen See. Dort kann man auch großflächige Forschungsgrabungen durchführen.
Welche Anhaltspunkte liefern Ihnen Bohrungen und Grabungen für den Aufbau damaliger Ökosysteme?
Um beim Beispiel Messel zu bleiben: In den Ablagerungsgesteinen können wir Forschende Pollenkörner und Reste von weiteren Pflanzen- sowie Mikroorganismen finden. Diese erlauben uns, die Vegetation rund um den früheren See sowie die Mikroflora und -fauna innerhalb des damaligen Gewässers zu rekonstruieren. Da in der Regel die älteren Ablagerungen unten liegen, bekommen wir einen Überblick, wie die Flora und Fauna zu welcher Zeit aussah. Bei den Grabungen können wir Paläontologen darüber hinaus größere Fossilien von Pflanzen und Tieren finden und erhalten so das umfassende Bild eines Ökosystems – vom lauernden Krokodil und dem kleinen Urpferd bis hin zum Weinrebengewächs und der Süßwasseralge.
Welche Erkenntnisse gewähren Ihnen Bernstein in Ergänzung zu den Fossilien aus Messel?
Wir haben in Europa, zum Beispiel auch in Bitterfeld, einige große Bernsteinvorkommen, die wohl nur wenig jünger sind als die Fossilien aus Messel. Diese Vorkommen untersuchen Danilo Harms von der Abteilung Arachnologie und ich gerade im Rahmen eines Projekts auf die darin enthaltenen Spinnentiere. In Bernstein lassen sich zwar nur selten Hinweise auf größere Lebewesen finden, dafür aber sehr gut erhaltene kleinere Tiere, Pflanzenreste und Pilze entdecken. Außerdem sind in Bernstein wiederum Tiere eingeschlossen, die eher nicht in Seeablagerungen vorkommen. Der Bernstein stellt also ein weiteres wichtiges Schaufenster in die Ökosysteme der Vergangenheit dar.
Wieso untersuchen Sie gerade Spinnentiere?
Einige in Bernstein überlieferte Spinnentiergruppen sind bisher noch nicht detailliert untersucht worden. Dank einer Kooperation mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY bekommen wir nun hochaufgelöste Scans, die uns ganz neue Erkenntnisse liefern. So konnten wir anhand dieser dreidimensionalen Darstellungen zum Beispiel bereits eine Spinnenfamilie nachweisen, die man bisher nur aus der Gegenwart kannte – jetzt wissen wir, dass es sie schon im Eozän gab.
Spinnentiere haben zum Teil sehr spezifische Ansprüche an Ökosysteme und das Klima. Daher können sie uns helfen, Klimarekonstruktionen zum Beispiel für das Eozän zu zu prüfen und ggf. zu optimieren und die Entwicklung von Lebensräumen besser zu verstehen.
Und was können wir jetzt mit Blick auf die aktuelle Klimaerwärmung aus dem Eozän lernen?
Paläoklimaforscher kommen über ganz unterschiedliche Rekonstruktionsmethoden zu kongruenten Schlussfolgerungen: Im Eozän, gerade im frühen Eozän, hatten wir signifikant wärmere Bedingungen, die mit höheren Gehalten an atmosphärischem CO2 und weiteren Treibhausgasen gekoppelt waren. Der Meeresspiegel war etwa 50 bis 100 Meter höher als heute. Norddeutschland war zumindest teilweise vom Vorläufer der heutigen Nordsee bedeckt. Wir hatten hier eher subtropische bis tropische Bedingungen. Im Gebiet von Messel lebten zum Beispiel Krokodile und wärmeliebende Schildkröten.
Wir haben also mit dem Eozän ein mögliches Szenario, wie die Welt sich entwickeln könnte, wenn wir mit dem Ausstoß von Treibhausgasen nicht vorsichtig sind. Man muss allerdings dabei bedenken, dass die Kontinente im Eozän noch etwas anders angeordnet waren. Hinzu kommt, dass einige der derzeitigen, vom Menschen beeinflussten Änderungen sehr schnell ablaufen.
Ulrich Kotthoff ist Paläontologe und leitet das Geologisch-Paläontologischen Museums im Centrum für Naturkunde.