Studie: Schwindende Eisdecke gefährdet Antarktische Zwergwale
18. Juni 2019
Foto: UHH/CeNak, Herr
Zwischen dem Eis fühlen sie sich Antarktische Zwergwale am wohlsten - hier beim Luftholen.
Zum Luft holen durchbrechen sie mit ihrer spitzen Schnauze dünne Eisdecken: Antarktische Zwergwale (Balaenoptera bonaerensis) kommen nur in der Südhemisphäre vor, gehören zu den kleinsten Bartenwalen und dringen als einzige in die eisbedeckten Gebiete des Südpolarmeeres vor. Sie waren die letzten Wale, die Walfänger auf ihre Fangliste setzten - die größeren Walarten waren schon nahezu ausgerottet. Wie viele Tiere es heute gibt und wie abhängig die Wale von der Eisdecke sind, hat ein Team um CeNak-Walexpertin Helena Herr erforscht.
„Die Art hat sich in den eisbedeckten Gewässern eine ökologische Nische erobert und beutet als einziger Wal die Krillvorkommen unter dem Eis aus“, erklärt Helena Herr. Noch im vergangenen Jahr wurden Zwergwale der Art Balaenoptera bonaerensis von japanischen Walfängern im Südpolarmeer zu Hunderten gefangen. Dabei waren die Verwandten der gewöhnlichen Zwergwale (Balaenoptera acutorostrata) wegen ihrer verhältnismäßig kleinen Größe lange Zeit für den Walfang nicht besonders attraktiv. Erst als in den 1970er-Jahren die großen Walarten nahezu ausgerottet waren, wurden sie bejagt.
Bestandsaufnahme mit Hindernissen
Doch wie viele dieser Wale gibt es heute - und wie wirken sich Veränderungen der Eisschicht im Südpolarmeer auf die Tiere aus? Ein internationales Forschungsteam um Helena Herr hat sich in der im Fachblatt „Ecology und Evolution“ erschienenen Studie „Aerial surveys for Antarctic minke whales (Balaenoptera bonaerensis) reveal sea ice dependent distribution patterns“ mit der Bestandssituation der Tiere und ihrer Abhängigkeit vom Eis befasst. Und das ist gar nicht so einfach, denn die Tiere halten sich in Gebieten mit teilweise hoher Eisbedeckung auf. „Diese Gewässer sind für Zählungen vom Schiff aus unzugänglich“, erläutert Walforscherin Herr. „Selbst wenn man hierfür einen Eisbrecher nutzen würde, wäre die benötigte Geschwindigkeit für die Erfassungen nicht einzuhalten. Um Doppelsichtungen zu vermeiden, müssen wir mit einer Mindestgeschwindigkeit fahren.“ Auch der Scheuch- oder Anlockeffekt durch das Brechen des Eises würde sich auf die Bestandsaufnahme auswirken.
Rückgang der Population?
Derzeit sei die Art nicht bedroht, sagt Helena Herr. Die Population bewege sich in den Hunderttausenden. Die letzten Zählungen der Internationale Walfangkommission (IWC) fanden in den 1990er-Jahren statt. Allerdings nur bis an die Eiskante, so wie bislang alle Bestandsaufnahmen. Dabei zeigte sich ein Rückgang der Population um rund 30 Prozent gegenüber der Vergleichszählung aus dem vorherigen Jahrzehnt. Ob es sich aber um einen tatsächlichen Populationsrückgang handelt, wird in der Wissenschaftscommunity bis heute diskutiert. Helena Herr: „Eine Hypothese, die gegen einen Rückgang angeführt wird, ist die Möglichkeit, dass zur Zeit der zweiten Zählung mehr Tiere in eisbedeckten Gewässern unterwegs waren und somit nicht erfasst werden konnten.“
Satellitendaten und Helikoptersurveys
Zwischen 2006 und 2013 hat das Forschungsteam um Helena Herr vom Forschungseisbrecher Polarstern aus fünf Helikoptersurveys durchgeführt - insgesamt wurde eine Strecke von 40.000 Kilometern abgeflogen. „Mit Satellitendaten haben wir die prozentuale Eisbedeckung der Positionen der Sichtungen zugeordnet, eine menschliche Beurteilung während der Erfassungen wäre zu subjektiv“, erklärt die Walexpertin. Von keiner bis zu voller Eisdecke war im Untersuchungsgebiet alles vorhanden. Zusätzlich wurde die Distanz zur Eiskante, also dem Bereich wo das offene Wasser beginnt, zum Land, zur Kante des Kontinentalschelfs, sowie die Wassertiefe für jede Sichtungsposition ermittelt. Basierend auf diesen Daten konnten die Forscherinnen und Forscher die Zwergwalverteilung in Abhängigkeit von Umweltparametern modellieren und vorhersagen.
Offenbar tatsächlicher Populationsrückgang
Das Team hat während der Flüge insgesamt 286 Zwergwale erfasst. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Tiere eine besondere Vorliebe für die Eiskante haben und in höchster Zahl direkt dort vorkommen. Es finden sich aber auch hohe Tierdichten in den teilweise eisbedeckten Gewässern“, sagt Helena Herr. Bei fast vollständiger Eisbedeckung nimmt die Dichte zwar ab, „aber wir haben auch Tiere in nahezu vollständig eisbedeckten Bereichen festgestellt“. Insgesamt wurde eine starke Beziehung zwischen Tierdichte und Eisbedeckung festgestellt, ohne Hinweise auf eine große Variabilität in dieser Beziehung. „Diese Erkenntnis spricht gegen die Hypothese, dass wechselnde Vorliebe für eisbedeckte Bereiche für den mutmaßlichen Rückgang verantwortlich sein könnten und deutet eher Richtung eines tatsächlichen Populationsrückgangs.“
Hohe Abhängigkeit von der Eisdecke
Allerdings gibt es laut den Forscherinnen und Forschern noch weitere Hypothesen, die untersucht werden müssen, bevor eine abschließende Aussage möglich ist. Die jetzige Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass Zwergwale vom antarktischen Meereis abhängig sind. Besonders geringe Dichten der Tiere gab es nämlich in den eisfreien Gewässern, insbesondere an der Westantarktischen Halbinsel. Genau dieser Teil der Antarktis ist auch stark vom klimabedingten Eisrückgang betroffen. Helena Herr: „Diese Walart würde beim Schwinden des Antarktischen Meereises wahrscheinlich stark beeinträchtigt werden, da sich ihr Lebensraum erheblich verkleinern würde.“
Das Projekt wurde vom Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), der Australian Academy of Science, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.
Weitere Informationen und Kontakt
Link zur Open Access Originalstudie:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1002/ece3.5149
Forschungsabteilung Mammalogie
Helena Herr
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