Forschungsprojekt
Die Aneignung des Weltwissens – Adelbert von Chamissos Weltreise
(Materialerschließung, Transkription, Analyse) DFG Gl 297/25-1 (2015-2018)
In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Walter Erhart von der Universitaet Bielefeld (Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft)
Ausführliche Informationen zum Projekt
Zusammenfassung
Adelbert von Chamisso (1781-1838) zählt zu den bereits im 19. Jahrhundert kanonisierten, mittlerweile jedoch fast unbekannten Autoren der deutschen Literaturgeschichte. Insbesondere seine naturkundlichen Schriften und die verschiedenen Fassungen seiner Reise um die Welt (1821/1836) sind wenig erforscht, zahlreiche Texte und große Teile des Briefwechsels bis heute nicht ediert. Ein noch unbekanntes Originaltagebuch der Weltreise (1815-1818) befindet sich im Nachlass der Staatsbibliothek zu Berlin; die in den Schriften selbst vielfältig behandelten naturkundlichen Objekte der Weltreise sind erst kürzlich im Berliner Museum für Naturkunde entdeckt und archiviert worden.
Das Forschungsprojekt zielt auf die Erforschung der Zusammenhänge von Naturforschung und Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; es nimmt erstmals den Schriftsteller und Naturforscher Chamisso gleichermaßen in den Blick. Ausgangspunkt ist die These von der zentralen Stellung der Weltreise(-literatur) in Chamissos Werk; in enger Kooperation von Naturwissenschaft, Wissenschaftsgeschichte und Literaturwissenschaft sollen Genese, Produktion und Darstellung des dabei angeeigneten und präsentierten naturkundlichen Wissens rekonstruiert und analysiert werden. Grundlage des Projekts ist die Transkription, die Edition (in print/digital) und die Erforschung des Originaltagebuchs sowie weiterer Nachlassmaterialien. Die von den Antragstellern, einem Wissenschaftshistoriker/Zoologen und einem Literaturwissenschaftler, geleitete Arbeitsgruppe erforscht die philologisch-historischen Bestandteile des reiseliterarischen Werks, platziert sie im wissenschaftshistorischen Kontext ihrer Zeit und verknüpft naturwissenschaftliche und wissenschaftshistorische Forschungen zur Entstehung und objektbezogenen Aneignung des naturkundlichen (Welt-)Wissens mit literaturwissenschaftlichen Studien zu reiseliterarischen und poetischen Darstellungsformen.
Mit der Erschließung von neuem Quellenmaterial sowie der interdisziplinären Analyse sämtlicher, mit Chamissos Welt- und Entdeckungsreise verbundener Schriften und Objekte intendiert das Forschungsprojekt die (Wieder-)Entdeckung eines Autors und Forschers, der als Vermittler und Grenzgänger zwischen Literatur und Naturforschung bisher kaum wahrgenommen wurde. Die im Vergleich mit den Forschungsreisen, der Weltreiseliteratur und der (Natur-)Wissenschaft des 19. Jahrhunderts durchgeführte Untersuchung von Chamissos Weltreiseschriften (Tagebücher, Reiseberichte, botanische und zoologische Studien, Gedichte) verspricht einen grundlegenden Beitrag zur Ausgestaltung und Differenzierung moderner Wissenskulturen, zu den Darstellungs- und Schreibformen des naturkundlichen (Welt-)Wissens sowie den wirkungsvollen Wechselwirkungen von Literatur, Ästhetik, Natur- und Völkerkunde in der Literatur- und Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts.
The appropriation of world knowledge – Adelbert von Chamisso‘s world tour
(transcription, analysis, interpretation)
Adelbert von Chamisso (1781-1838) numbers among the most famous authors of the 19th century, yet the bulk of his work remains neglected to the present day. Some of his poems and Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte belong to the canon of German literature, but Chamisso’s scientific works and the different versions of his Voyage around the world have rarely been studied. The intended research project aims to explore the connections between literature and natural science in the first half of the 19th century. This study gives equal credit to Chamisso the poet and Chamisso the scientist for the first time. The project’s starting point is the hypothesis that his voyage around the world (1815-1818) occupies a central position in the larger body of his work. Combined with his (widely unpublished) letters and his scientific papers, the voyage is essential to the unique literary and scientific persona that the author adopted after his self-proclaimed farewell to romantic poetry around 1813. The basis of this project consists in the transcription, edition and analysis of the—hitherto unstudied—original diaries of Chamisso’s travels (found in the Staatsbibliothek zu Berlin). The research group combines history of science, zoology, botany and literary criticism to study the genesis, appropriation and representation of botanical, zoological and ethnografic knowledge in Chamisso’s work. In comparison with other world-travel literature and 19th-century natural history, the project elucidates the genuine contribution Chamisso’s travel accounts, scientific work and late poetry made to the modern emergence of different cultures of knowledge as well as separate, i.e. literary, poetic and scientific, ways of seeing the world.