DFG-Projekt zu Adelbert von Chamisso
Die Genese des Weltwissens – Wie das Objekt zur Erkenntnis wird
Neues Forschungsprojekt zur Wissenskultur am Beispiel von Adelbert von Chamissos Reise um die Welt
Vor 200 Jahren, im August 1815, brach der französisch-stämmige deutsche Naturforscher Adelbert von Chamisso (1781-1838) – der heute meist noch als Dichter und Autor der phantastischen Novelle „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ bekannt ist – zu einer dreijährigen Reise um die Welt auf dem russi-schen Schiff „Rurik“ unter dem Kommando von Kapitän Otto von Kotzebue auf. Sie führte ihn quer über den Atlantik in den Pazifischen Ozean, dort an die Küsten Asiens und Amerikas, auf die Hawaii- und Radack-Inseln und auf der Suche nach einer Nordostpassage durch die Beringstraße in den arktischen Norden.
Pünktlich zum Jubiläum der historischen Reise von 1815 bis 1818 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jetzt die finanzielle Förderung eines interdisziplinären Forschungsprojektes zur Erschließung und Ana-lyse der im Zusammenhang mit Adelbert von Chamissos Weltumsegelung entstandenen Aufzeichnungen gewährt. In Zusammenarbeit mit dem Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Walter Erhart von der Universität Bielefeld und der im Projekt beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Monika Sproll sollen in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Matthias Glaubrecht am Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Ham-burg, in der u. a. auch Aspekte einer sammlungsbezogenen Wissenschaftsgeschichte erforscht werden, im Rahmen eines Promotionsprojektes (Anne MacKinney) vor allem Chamissos Reise-Tagebücher, Manuskripte und Aufsammlungen sowie die daraus gewonnenen natur- und kulturwissenschaftlichen Erkenntnisse unter-sucht werden.
Das Chamisso-Projekt
Chamisso zählt zwar zu den bereits im 19. Jahrhundert kanonisierten Autoren der deutschen Literaturge-schichte; auch wird sein auf der „Rurik“-Expedition 1815-1818 zurückgehender Bericht über seine „Reise um die Welt“ seit langem zu den bedeutenden Reisewerken der Zeit um 1800 gerechnet (oft verglichen mit Georg Forsters Bericht der Reise mit James Cook in die Südsee, 1771-1775; oder auch mit Alexander von Humboldts Aufenthalt in Amerika, 1799-1804). Doch kann die Forschung bis heute nicht auf eine verlässliche, quellenbasierte Edition von Chamissos eigentlichen zweibändigen Reisetagebuch zurückgreifen. Neben den Reise-Materialien im inzwischen mit Unterstützung der Robert Bosch-Stiftung digitalisierten, etwa 29.500 Seiten umfassenden Nachlass in der Staatsbibliothek zu Berlin (SBB) befinden sich die während der Weltrei-se von Chamisso gesammelten und in seinen Schriften in vielfältiger Weise behandelten naturkundlichen Objekte, noch weitgehend unerkannt, im Berliner Naturkundemuseum (MfN).
Im Projekt sollen nun die literarischen wie auch die naturkundlichen Quellenmaterialien erschlossen und sämtliche mit Chamissos Welt- und Entdeckungsreise verbundene Schriften und Sammlungen interdisziplinär analysiert werden. Damit intendiert das Forschungsprojekt die (Wieder-)Entdeckung eines Autors, der mit seiner Doppelprofession sowie als Grenzgänger und Vermittler zwischen Literatur und Naturforschung bisher kaum wahrgenommen wurde. Es verspricht zugleich einen grundlegenden Beitrag zur Literatur- und Wissen-schaftsgeschichte, zu den Darstellungs- und Schreibformen des naturkundlichen (Welt-)Wissens sowie den wirkungsvollen Wechselwirkungen von Literatur, Ästhetik, Natur- und Völkerkunde in der Literatur- und Wis-senschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts.
Kulturgeschichte des Naturwissens
Neben kontextualisierenden Begleitstudien etwa zum naturgeschichtlichen Erkenntnisgewinn ist eines der Hauptanliegen des Projektes die kommentierte Edition der im Handschriftenarchiv der SBB befindlichen, neuerdings als Digitalisat verfügbaren handschriftlichen Bestände und Aufzeichnungen, die einerseits Cha-missos publizierten Reiseberichten, andererseits seinen Fachpublikationen zugrunde liegen. Dieser Werk-komplex soll als sogenannte Hybrid-Edition (Printausgabe und digitale Publikation) verfügbar gemacht und durch einen sowohl literaturwissenschaftlichen wie naturkundlich ausgerichteten Kommentar erschlossen wer-den.
Immerhin gehört die Genese von Weltwissen durch weltumspannende und welterschließende Forschungs-reisen im Zuge einer weiteren Episode der europäischen Expansion zu den wissensgeschichtlich bedeut-samsten und folgenreichsten Ereignissen der Epochenschwelle um 1800, jener „Sattelzeit“ zwischen Aufklä-rung, Romantik und Moderne.
Im Rahmen einer Kulturgeschichte des Naturwissens im Allgemeinen und zu Forschungsreisen als welter-schließenden Unternehmungen im Besonderen sind Werk und Wirken Adelbert von Chamissos bislang deut-lich unterrepräsentiert. Die Edition seiner ursprünglichsten Weltreise-Texte, die deren Genese erstmals nachvollziehbar werden lässt, erlaubt es Chamisso sowohl materiell als auch epistemologisch neu zu ver-messen.
Promotionsprojekt Wissenschaftsgeschichte
- Vom "Wissens-Ding" zum Welt-Wissen
Am Beispiel konkreter Sammlungsobjekte oder „Wissens-Dinge“, die Adelbert von Chamisso von seiner Weltreise mit der „Rurik“ 1815-1818 mitbrachte, soll der Entstehungsprozess von „Welt-Wissen“ rekonstruiert werden. Im Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt: Anne MacKinney (2015-2018)
Publikationen zu Adelbert von Chamisso
- Chamisso-Forum
www.chamisso-forum.blogspot.de - Glaubrecht, M. (Hrsg.) 2012. Adelbert von Chamisso. Reise um die Welt.
Verlag Andere Bibliothek, Berlin. 526 pp.
www.die-andere-bibliothek.de - Tagesspiegel
Wohin? Zu mir! Zu mir! - Tagesspiegel
Mit Siebenmeilenstiefeln um die Welt - Tagesspiegel
Dichter, Forscher, Weltreisender - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Traurige Aleuten - Frankfurter Allgemeine Zeitung
Mach es wie die Aleuten