Insektenvielfalt in Hamburg? Zur Lage der Insekten
17. Oktober 2018
Foto: T. Demuth/Neuntöter e.V.
Ein Sechsfleck-Widderchen auf dem „Energieberg Georgswerder“, dem Standort für ein langfristiges, systematisches Insektenmonitoring.
Hauhechel-Bläuling, Sechsfleck-Widderchen und Gefleckte Keulenschrecke – sie alle haben sich auf dem Gelände der ehemaligen und mittlerweile renaturierten Deponie „Energieberg Georgswerder“ in Wilhelmsburg angesiedelt. Doch wie ist es konkret um die Insektenvielfalt in Hamburg bestellt? Welche und wie viele Schmetterlinge, Heuschrecken und Bienen leben heute und in Zukunft in unserer Metropole? Ein beispielhaftes, für Hamburg neues Projekt, soll Fakten zur Erforschung des Biodiversitätswandels im urbanen Raum liefern.
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Seit April leeren Mitglieder des Vereins „Neuntöter e.V. - Verein für Forschung und Vielfalt“ jeden Montag zwei sogenannte Malaisefallen auf dem Energieberg, wiegen die erfassten Insekten und übergeben die Belegexemplare anschließend an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Centrums für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg. Hier werden die Tiere nach wissenschaftlichen Kriterien konserviert, bestimmt und archiviert sowie für weitere Untersuchungen genutzt. Die Hamburger Behörde für Umwelt und Energie (BUE) unterstützt dieses langfristige, systematische Insektenmonitoring. Die Daten sollen vergleichenden Analysen dienen, die für Maßnahmen zum Erhalt der einheimischen Tierwelt herangezogen werden können.
Umweltsenator Jens Kerstan: „In einer Zeit, in der weltweit immer mehr Arten verschwinden, ist es wichtig, Natur in die Stadt zu integrieren. Gerade die Insektenpopulation ist für viele Ökosysteme von größter Bedeutung. Deshalb haben wir mit dem Naturschutzgroßprojekt ‚Natürlich Hamburg‘ Deutschlands größtes Vorhaben dieser Art in einer Großstadt auf den Weg gebracht. Es hat auch die Bestandsaufnahme und Entwicklung des Naturraumes in unserer Stadt zum Inhalt. Ich freue mich sehr über die Kooperation zwischen dem CeNak und der Umweltbehörde. Das ist ein symbiotischer Mehrwert für die Artenvielfalt und ich bin überzeugt, dass sich diese Zusammenarbeit verstetigen wird.“
„Ich freue mich sehr über dieses Aktionsbündnis aus Wissenschaft, Verwaltung und Bürgern“, kommentiert CeNak-Direktor Prof. Dr. Matthias Glaubrecht das Projekt. „Es fehlt an umfassenden Studien, die uns verlässliche Daten zu den immer häufiger zu beobachtenden Bestandsrückgängen in der Tierwelt geben. Die kontinuierlichen Erhebungen auf dem Energieberg helfen uns, die Ursachen dieses Wandels der Artenvielfalt zu verstehen und der Politik Fakten für mögliche Schutzmaßnahmen zu liefern.“
Die Biomasse der Insekten ist in vielen Gebieten Deutschlands in den vergangenen Jahrzehnten massiv zurückgegangen, teilweise um bis zu 75 Prozent. In Deutschland sind ca. 33.000 Insektenarten beheimatet – jede dieser Arten erfüllt eine spezifische und wichtige ökologische Funktion. „Der zu beobachtende massive Rückgang ist daher äußerst alarmierend. Denn mit den verschwindenden Arten gehen auch ihre ökologischen Funktionen unwiederbringlich verloren“, so Glaubrecht. „Die Bewältigung dieser Biodiversitätskrise stellt neben dem Klimawandel die gesellschaftliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts dar.“
Im Gegensatz zu intensiv genutzten landwirtschaftlichen Flächen können Städte, wenn sie ein engmaschiges Lebensraummosaik aufweisen, auf kleinstem Raum wenigstens einigen Arten Rückzugsgebiete bieten. Andererseits ist gerade hier aufgrund der vorhandenen Verkehrsknotenpunkte der Anteil gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten, die die einheimische Lebewelt bedrohen, besonders hoch.
Trotz der hohen Dynamik und Komplexität urbaner Lebensräume fehlt es an Studien zum Vorkommen und der Verbreitung insbesondere von Tierarten – hier setzt das Projekt Impulse für Hamburg und andere Metropolen. Auf der geschlossenen Deponie auf der Elbinsel Wilhelmsburg haben sich wertvolle Biotope mit seltenen Pflanzenarten entwickelt, in denen z.T. bedrohte Tierarten wie u.a. die Westliche Beißschrecke (Platycleis albopunctata) und die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) leben. Doch nicht nur ihre vielfältigen Lebensräume machen die ehemalige Deponie für das im Frühjahr gestartete Biodiversitäts-Dauermonitoring besonders attraktiv und einzigartig. Im Gegensatz zu natürlichen, sich ständig wandelnden Biotopen, bleiben Lebensräume auf einer technischen Anlage, wie sie die ehemalige Deponie nach wie vor darstellt, relativ konstant. Denn wegen der dünnen Bodenschicht dürfen sich z.B. Gehölze nur begrenzt entwickeln, d.h., die Lebensraumbedingungen bleiben längerfristig gleich. Somit ermöglicht das Monitoring insbesondere Rückschlüsse auf den Einfluss, die Faktoren wie Klima oder Schadstoffbelastung auf die heimische Tierwelt haben.
Die Idee für eine kontinuierliche Bestandsaufnahme in diesem Gebiet entstand beim GEO-Tag der Natur anlässlich des Langen Tags der StadtNatur in Hamburg 2017. Bei dieser Citizen-Science-Aktion nehmen Freizeitforscherinnen und Forscher für ein Wochenende an ausgewählten Standorten die heimische Tier- und Pflanzenwelt unter die Lupe. „Zusammen mit dem CeNak kam uns der Gedanke, das Monitoring hier von Frühjahr bis Herbst zu verstetigen“, so Torsten Demuth vom Verein Neuntöter. „Die Bürgerforschung ist ein großer Schwerpunkt in unserer Vereinsarbeit.“