Interviews
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Wimmelndes Ökosystem aus Miniatur-Lebewesen
Frischen Wind im Gesicht und nassen Sand zwischen den Zehen. Eine Wanderung durchs Watt ist Erholung pur. Und wer den Blick vom Horizont auf den Boden senkt, entdeckt eine Welt für sich: Ein wimmelndes Ökosystem aus winzigen Lebewesen. Andreas Schmidt-Rhaesa, Leiter der Abteilung Wirbellose Tiere I am CeNak, untersucht das Leben auf und zwischen den Sandkörnern. Er ist wissenschaftlicher Berater der Ausstellung „Watt erleben – Wattboden verstehen“.
Wenn wir von Watt reden, denken wir an Schlick und Sand. An was denken Sie?
Ich denke, dass das Watt einer der faszinierendsten Lebensräume ist, allerdings erst auf den zweiten Blick. Der Wechsel zwischen Bedeckung durch Meerwasser bei Flut und dem Freifallen bei Ebbe schafft eine Dynamik, die es sonst in kaum einem Lebensraum gibt. Trotz dieser Herausforderungen leben Unmengen von Tieren im Watt, die meisten allerdings etwas verborgen im Wattboden. Mich faszinieren vor allem die sehr kleinen Tiere im so genannten Sandlückensystem, die man insgesamt als Meiofauna bezeichnet.
Was entdeckten wir denn für Tiere, wenn wir genau hinschauen?
Wer genauer hinsieht, entdeckt in erster Linie Muscheln und Meeresborstenwürmer, die sich im Boden eingraben. Hat man die Möglichkeit, mit einem Stereomikroskop zu schauen, entdeckt man eine unglaubliche Diversität von Krebsen, Würmern und anderen Tieren wie Bärtierchen, Milben und vieles mehr.
Wer frisst denn wen im Sandlückensystem – und ist dieses Nahrungsnetz noch intakt?
Im Sandlückensystem gibt es vielfältige Nahrungsgewohnheiten. Es gibt Bakterienfresser, Algenfresser oder Räuber, die andere Tiere fressen. Wieder andere ernähren sich von nicht lebendiger organischer Substanz. Alles in allem ein komplettes Nahrungsnetz, das natürlich Teil von größeren Nahrungsnetzen ist, weil die Meiofauna auch Nahrungsgrundlage für größere Organismen ist und so zur Produktivität von Watten beiträgt. Auch die Meiofauna ist natürlichen Schwankungen wie auch menschengemachten Veränderungen unterworfen, die wir aber nicht immer erkennen, weil wir die Meiofauna insgesamt noch zu wenig kennen.
Wofür können wir die Ergebnisse/Daten der Meiofauna-Forschung nutzen?
Neben eher wissenschaftlich interessanten Fragen zur Biodiversität, zu Ausbreitungen und Artentstehungen sind viele Meiofauna-Organismen wichtig, um die evolutiven Änderungen von Tieren verstehen zu können. Besonders geeignet ist sie, um Veränderungen, sei es durch Klimawandel oder durch Verschmutzungen anzuzeigen, weil sich dann die Zusammensetzung relativ schnell ändert. Dazu sollten wir aber die Meiofauna noch besser kennen lernen.
Was möchten Sie dem Besucher der Ausstellung oder dem Wattwanderer mit auf den Weg geben?
Es würde mich freuen, wenn wir zeigen können, wie besonders und vielfältig der Wattboden ist. Vielleicht denken Sie bei der nächsten Wattwanderung daran, dass sich unter Ihren Füßen Hunderte, Tausende von Tieren befinden.
Kontakt
Prof. Dr. Andreas Schmidt-Rhaesa
Abteilungsleiter Wirbellose Tiere
Centrum für Naturkunde
Martin-Luther-King-Platz 3, Raum R. 234
20146 Hamburg
Tel. +49 40 42 838-3921
E-Mail: Andreas.Schmidt-Rhaesa"AT"uni-hamburg.de
Warum wir den Boden nicht mit Füßen treten sollten
Basis, Filter, Speicher, Lebensraum. Der Boden unter unseren Füßen ist mehr als ein Fundament. Er ist entscheidend für das Leben, das Klima und die Vielfalt der Arten. Prof. Dr. Lars Kutzbach vom Institut für Bodenkunde der Universität Hamburg beschäftigt sich mit der zentralen Bedeutung von Böden. Er ist wissenschaftlicher Berater der Ausstellung „Watt erleben – Wattboden verstehen“.
Was und wo ist eigentlich Watt – und wie entsteht dieser Boden?
Mit dem Wort „Watt“ bezeichnet man sowohl einen Lebensraumtyp als auch einen Bodentyp. Der Bodentyp Watt ist ein junger Boden, der sich im Übergangsbereich zwischen Land und Wasser unter dem dauernden Wechsel von Überschwemmung und Trockenlegung durch Flut und Ebbe bildet. Neben der sehr speziellen Überflutungsdynamik ist die Wechselwirkung zwischen der Sedimentation von Sinkstoffen und der Besiedlung durch Organismen sehr wichtig für die Bodenbildung des Watts. Abhängig von der Strömungsgeschwindigkeit sedimentieren unterschiedlich große Mineralpartikel (von Ton bis Sand) und im Meer gebildetes organisches Material bei Flut auf den Wattboden. Diese meist recht weichen Sedimente werden durch Besiedlung mit Organismen festgelegt. So bildet sich typischerweise auf der Oberfläche des Watts eine dünne, aber zusammenhängende Haut – ein sogenannter Biofilm – aus einzelligen Algen, Bakterien und Schleimstoffen, der einer Fortspülung des Sediments entgegenwirkt. Auch die Besiedlung durch Tiere, z.B. Würmer oder Krebse, fördert die Festlegung des Wattes.
Wie entstehen die ganz unterschiedlichen farbigen Schattierungen im Wattboden?
In Grabgänge der im Watt lebenden Tiere kann Sauerstoff gelangen. Dieser reagiert mit reduzierten Eisenverbindungen und bildet rostfarbene Eisenoxide, die die Sedimentteilchen verkitten und so dem Wattboden Struktur geben. Mit Ausnahme der Grabgänge führt die dauerhafte Wassersättigung des Porensystems dazu, dass Sauerstoff nur wenige Millimeter oder Zentimeter eindringen kann. Das Fehlen von Sauerstoff führt zu reduzierenden chemischen Bedingungen und der Bildung von feinverteiltem Eisensulfid, das die unteren Bereiche der Wattböden grau oder schwarz färbt. Die starken Farbkontraste zwischen der oliv-braunen Wattoberfläche, den rostroten Eisenoxiden entlang der Grabgänge sowie den grauen und schwarzen reduzierten Bodenbereichen sind auffällig und charakteristisch für Wattböden. Durch den dauernden Wechsel von Überschwemmung und Trockenlegung und die Sauerstoffarmut sind Wattböden extreme Lebensräume, die nur spezialisierte Arten als Habitat nutzen können.
Welche Funktionen erfüllen Böden allgemein und ganz speziell der Wattboden?
Böden erfüllen viele Funktionen, die man grob aufteilen kann in Regelungsfunktionen, Lebensraumfunktionen, Nutzungsfunktionen und Archivfunktionen. Böden können Schadstoffe und Nährstoffe aus dem Wasser filtern und dieses somit reinigen. Sie können Wasser aufnehmen, speichern und so die Auswirkungen von Starkregenereignissen mildern. Außerdem stellen sie einen bedeutenden Kohlenstoffspeicher dar, der wichtig zur Regulierung des globalen Klimas ist (siehe unten). Sie stellen den Pflanzen Wasser, Nährstoffe und Verankerungsmöglichkeiten zur Verfügung und sind damit auch Grundlage für die gesamte Nahrungsmittelproduktion. Neben den Pflanzen bieten Böden auch Tieren einen diversen Lebensraum. Weiterhin sind sie Lagerstätte für verschiedene Rohstoffe (z.B. Ton, Sand, Torf) und werden als Baugrund genutzt. Wichtig ist auch ihre Funktion als Archiv der Natur- und Kulturgeschichte.
Die Wattböden speziell erfüllen vor allem Regelungsfunktionen. Organisches Material, das im Meeres- oder Flusswasser gebildet wurde, wird in ihnen zersetzt und zu Kohlendioxid und Hydrogenkarbonat mineralisiert. Die Watten sind somit eine Quelle für Hydrogenkarbonat für das Wasser der Elbe und der Nordsee. Auch stickstoffhaltige Nährstoffverbindungen werden in den Watten umgesetzt. Im Elbeästuar speichern die Wattböden Schadstoffe, die in der Vergangenheit das Wasser der Elbe in weit stärkerem Ausmaß als heute belastet haben. Die relativ stabile Speicherung in den Wattböden schützt die benachbarten Ökosysteme. Die Wattböden sind mit ihrem oft hohen Besatz an bodenbewohnenden Organismen eine wichtige Nahrungsgrundlage für Vögel und Jungfische. Watten sind nicht für die landwirtschaftliche Produktion geeignet, haben jedoch einen hohen Wert für die Nutzung durch Fischerei und Tourismus. Die meisten Watten in Deutschland stehen als wertvolle Biotope unter gesetzlichem Schutz.
Und Achtung, niemals ins Watt gehen ohne ortskundige Führung! Im Watt kann man überraschend tief einsinken und nicht mehr allein wieder herauskommen. Dieses gilt insbesondere auch für die oft sehr weichen Flusswatten im Hamburger Stadtgebiet!
Inwiefern stehen Prozesse in Böden (wie auch dem Wattboden) in Wechselwirkung mit dem Klimasystems?
Böden spielen eine wichtige Rolle im Klimasystem, da sie in enger Wechselwirkung mit der Atmosphäre und der Hydrosphäre stehen und die Eigenschaften dieser ebenfalls für das Klima sehr wichtigen Sphären des Erdsystems stark beeinflussen. Insbesondere speichern Böden große Mengen Kohlenstoff in Form von toter organischer Substanz, z.B. als Humus oder Torf. Wenn dieser Kohlenstoff sich in den Böden befindet, ist er nicht in Form von Kohlendioxid (CO2) oder Methan (CH4) in der Atmosphäre. Diese beiden kohlenstoffhaltigen Gase wirken als Treibhausgase auf das Klima ein. Trockene Böden können das starke Treibhausgas Methan sogar aufnehmen und in das weniger stark wirksame Kohlendioxid umwandeln. Vernässte Böden können aber auch eine Quelle für Methan sein. Ähnlich ist es mit dem nochmal stärkeren stickstoffhaltigen Treibhausgas Lachgas (N2O). Böden in nährstoffarmen Feuchtgebieten tendieren dazu, Lachgas aufzunehmen, während Böden in nährstoffreichen Feuchtgebieten oft Lachgas in die Atmosphäre emittieren. Böden sind weiterhin wichtig, weil in ihnen die Verwitterung von Gesteinen verstärkt abläuft, die gerade über geologisch lange Zeiträume wichtige Effekte auf den Kohlendioxidhaushalt der Erde hat.
Wattböden interagieren mit dem Klima, da sie typischerweise Quellen für Kohlendioxid sind. In Abhängigkeit des Meereseinflusses und der Nährstoffversorgung können Wattböden Senken oder Quellen für Methan und Lachgas sein.
Warum wurde das Wattenmeer der Nordsee zum Weltnaturerbe ernannt?
Die Internationale Welterbe-Konvention der UNESCO soll den Schutz des gemeinsamen kulturellen und natürlichen Erbes der Menschheit fördern. Die einzigartige Naturlandschaft des Wattenmeeres an der südlichen Nordseeküste ist zum Weltnaturerbe ernannt worden, weil es einen weltweit herausragenden Wert hinsichtlich seiner außergewöhnlichen geologischen Entwicklung, seiner vielen wichtigen ökologischen Prozessen und seiner Bedeutung für die Erhaltung der biologischen Vielfalt und bedrohter Arten hat. Außerdem wird mit dem Status des Weltnaturerbes anerkannt, dass das Wattenmeer in seiner Gesamtheit noch in hohem Maße intakt ist und auch unter nationaler Gesetzgebung unter einem hohen Schutzstatus steht.
Stichwort Elbvertiefung. Inwiefern ist der Lebensraum Flusswatt besonders bedroht?
Die Elbvertiefung wird Auswirkungen auf die Strömungsgeschwindigkeiten und den Tidenhub auch in der Süßwasserzone des Elbeästuars haben. Höhere Strömungsgeschwindigkeiten könnten in einigen Gebieten Flusswatten erodieren. Ein noch intensiverer Schiffsverkehr mit noch größeren Schiffen kann ebenso über verstärkten Wellenschlag zu stärkerer Erosion führen. Auf der anderen Seite wird ein höherer Tidenhub mit tieferen mittleren Tideniedrigwassern und höheren Tidehochwassern wohl zu einer insgesamt größeren Flächenausdehnung der Flusswatten auf Kosten der dauerhaft gefluteten Flachwasserbereiche und der Flussmarschen führen. Problematisch ist vor allem die Störung von belasteten Sedimenten durch die Ausbaggerung der Fahrrinne, da dadurch Schadstoffe mobilisiert werden und in die Watten eingetragen werden können. Noch drastischer ist der negative Effekt auf Wattböden, wenn sie bei Ufervorspülungen oder Unterwasserdeponierungsmaßnahmen durch ausgebaggerte Sedimente überlagert werden. Generell besteht durch höhere Fließgeschwindigkeiten und damit höhere Sedimentfrachten die Gefahr, dass problematische Sauerstoffdefizite im Elbwasser öfter auftreten könnten. Dieses würde die Flusswatten während der Überflutungen ebenfalls betreffen.
Kontakt
Prof. Dr. Lars Kutzbach
Universität Hamburg
Institut für Bodenkunde
Tel.: +49 40 42838-2021
E-Mail: Lars.Kutzbach@uni-hamburg.de( Lars.Kutzbach"AT"uni-hamburg.de)