Interview
Was macht Kunst im Naturkundemuseum?
Ein Interview mit Anna-Sophie Springer und Dr. Etienne Turpin, den Gastkuratoren der Ausstellung Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald
Natur und Kunst sind für Anna-Sophie Springer und Etienne Turpin unmittelbar miteinander verwoben. Die Kuratoren stellen mit der Ausstellung Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald tradierte Bilder und Vorstellungsweisen von Natur angesichts von Artensterben, Entwaldung und Klimawandel in Frage. Das Interview gibt einen Einblick in Methoden und Hintergründe des Projekts, das am 9. November 2017 im Zoologischen Museum Hamburg eröffnet und bis Ende März 2018 zu sehen sein wird.
Wie würden Sie für die Ausstellung das Spannungsverhältnis von Kunst und Natur beschreiben?
Es besteht nicht wirklich ein direktes Spannungsverhältnis von Kunst auf der einen Seite und Natur auf der anderen Seite. Vielmehr interessiert uns die Frage, wie (die) Natur als eine Vorstellung, ein Bild, generiert und aufrechterhalten wird – Natur und Kultur also immer schon miteinander verwoben sind. Woran denken wir, wenn wir uns (die) “Natur” vorstellen und warum ist das so? Woher kommen diese Vorstellungen eigentlich und gibt es auch andere Vorstellungen, mit denen wir uns beschäftigen sollten? Das sind so in etwa die großen Fragen, die uns als Kuratorin und Kurator von Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald umtreiben und die sich auch in den künstlerischen Arbeiten widerspiegeln, die man in der Ausstellung erleben kann.
Warum möchten Sie die Ausstellung in Naturkundemuseen zeigen?
Das Naturkundemuseum ist nach wie vor ein zentraler Ort, an dem die Menschen etwas über die Natur lernen. Es vermittelt vielen von uns schon im Kindesalter eine Idee von Natur und ein Bewusstsein für die Umwelt, für andere Lebewesen, Ökologie und so weiter. Darum ist es wichtig, den Leuten entgegenzukommen und sie dort abzuholen, wo sie schon daran gewöhnt sind, sich Fragen zur Natur zu stellen. Sie dann aber vor allem einzuladen, sich auch anderen Fragen zu öffnen beziehungsweise andere (und vielleicht auch weniger gewohnte) Perspektiven einzunehmen. Wir glauben, dass das Naturkundemuseum in der Tat das Potential und die Aufgabe hat, aktuelle Problematiken wie Artensterben, Entwaldung und Klimawandel anzugehen – es geht in diesen Museen ja schon lange nicht mehr nur um die Vermittlung der Evolutionstheorie wie einst im 19. Jahrhundert. Aber heute muss man sagen, dass die Evolution (oder besser, die sich durch die Evolution entwickelte Biodiversität der Erde) selbst bedroht ist, was wiederum spannende – ja, dringende – Fragen zur Rolle des Naturkundemuseums in der Gegenwart aufwirft. Vor diesem Hintergrund also scheint es uns eine gute Idee zu versuchen, Menschen auf halber Strecke entgegenzukommen, um sich mit bestimmten Problemen unserer Zeit – und auch den Ursprüngen dieser Probleme – zu konfrontieren und eben nicht einfach nur so weiterzumachen wie bisher. Welcher Ort wäre also geeigneter für eine solche Diskussion als das Naturkundemuseum?!
Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler ausgewählt?
Wir haben solche Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die sich in ihrem Werk dringenden Fragen der Gegenwart widmen – insbesondere im Kontext der tropischen Regionen, die Alfred Russel Wallace einst bereiste. Für viele dieser Künstlerinnen und Künstler ist der Wald (oder der Regenwald) zentrales Thema ihrer künstlerischen Recherchen und Forschungspraxis. Welche Bedeutungen und Mythologien werden mit ihm verbunden? Wie wurde und wird er klassifiziert, repräsentiert, verändert? Inwiefern steht der Wald mit seinen tausend und abertausenden von Lebewesen, Symbiosen und Austauschprozessen für das Leben auf der Erde im biologisch-ökologischen Sinn, verkörpert aber auch “Welten” aus anthropozentrisch-philosophischer oder animistischer Sicht? Inwiefern lässt sich beides eigentlich gar nicht voneinander trennen? Und wie verhält sich hierzu all das, was uns die Dioramen des Naturkundemuseums vermitteln möchten?
Uns hat bei dem Projekt besonders interessiert, ein großes Spektrum an Positionen einzuladen, dadurch ein Spannungsfeld zu eröffnen, das kritische Fragen und ungewohnte Sichtweisen erlaubt. Vielleicht verwirrt etwas zuallererst. Etwas Anderes in der Konstellation eröffnet dann aber vielleicht doch Zugänge und Zusammenhänge. Im Grunde geht es uns also darum, anderen Bildern und Vorstellungsweisen von Natur und Umwelten einen Raum zu geben – und zwar eben genau dort, wo ansonsten ziemlich traditionelle (oder sagen wir, westlich geprägte) Naturbilder seit Langem vorherrschend sind: Sicher sind die Darstellungen tropischer Lebensräume in den Habitat-Dioramen der Naturkundemuseen faszinierend. Aber wenn man es sich einmal überlegt, stimmen diese Darstellungen kaum noch damit überein, wie es in den Tropen heute wirklich aussieht! Wir wollten also mit Künstlerinnen und Künstlern zusammenarbeiten, für die diese Diskrepanz, dieser Bruch zwischen der Repräsentation im Museum und den Herausforderungen vor Ort auch eine wichtige Rolle spielt und die sich in ihren Werken für eine Reflexion und konstruktive Diskussion dieses Spannungsverhältnisses einsetzen. Was hier sicherlich auffallen wird, ist wie sehr es in den präsentierten Arbeiten um Menschen – und „den Menschen“ – geht. Im Naturkundemuseum ist man ja eigentlich gewohnt, immer „unberührte“ Natur zu betrachten. Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald hingegen verkompliziert den Begriff des Natürlichen auf vielerlei Weisen.
Konkret heißt das, dass wir künstlerische Arbeiten zeigen – darunter acht eigens für die Ausstellung geschaffene Werke – die sich mit der Mediatisierung von tropischer Natur beschäftigen: Naturbilder also de-naturalisieren, wenn man so will. Um dies etwas einzugrenzen, haben wir Künstlerinnen und Künstler eingeladen, deren Installationen, Fotografien, Filme oder Skulpturen von Veränderungen in den einst von Wallace erforschten natürlichen Lebensräumen handeln beziehungsweise ein Licht auf heute in Amazonien, Indonesien, Malaysien und Singapur relevante Problematiken werfen. Auch Hamburg als wichtige Stadt im europäischen Netzwerk des Kolonialhandels wird hier und da reflektiert sowie die grundsätzliche Frage nach dem kolonialen Erbe des Naturkundemuseums.
Welche Rolle spielen Wallaces Expeditionsgeschichte und die wissenschaftlichen Sammlungen des CeNak?
Tatsächlich zeigt das Projekt ja nicht nur Kunstwerke im Naturkundemuseum. Um einen Einblick in die Expeditions- und Sammlungsgeschichte von Alfred Russel Wallace (1823–1913) zu geben, haben wir mit verschiedenen Kuratoren des Zoologischen Museums Hamburg zusammengearbeitet und gemeinsam Präparate aus den wissenschaftlichen Sammlungen ausgewählt – Vogelbälge, Insektenkästen, Reptilien, Fische aus der Nasssammlung und Säugetierfelle – die Bezüge herstellen zu den Naturbeschreibungen aus Wallaces Schriften. Auch zu anderen Sammlungen der Universität Hamburg haben wir Kontakt aufgenommen und freuen uns sehr, dass wir Präparate aus der Nutzpflanzensammlung des Loki-Schmidt-Hauses und des Herbarium Hamburgense zeigen dürfen. Als wissenschaftliche Objekte sind viele der Dinge, die wir zeigen werden, normalerweise gar nicht so einfach für die Öffentlichkeit zugänglich. Einige besonders wertvolle Objekte haben wir in einer Kooperation mit der Hamburger CT-Scanning Firma XYLON mit neuester Technologie einlesen lassen, um hochaufgelöste Digitalisierungen zu zeigen, die den neusten Stand der wissenschaftlichen Bildproduktion reflektieren. Insofern setzt sich die Ausstellung aus einer ganzen Bandbreite verschiedener Elemente zusammen und gibt viele unterschiedliche Anknüpfungspunkte.
Was hat Sie zu dem Konzept der Ausstellung und den Inhalten geführt?
Uns interessierte zunächst einmal, dass Alfred Russel Wallace sowohl Amazonien als auch Indonesien vor gut 150 Jahren bereiste: So lange her ist das eigentlich gar nicht – wenn man heute seine Bücher liest, kann man allem prima folgen, auch wenn manche seiner Sichtweisen merklich koloniale Züge haben und bestimmte Absätze dadurch nur schwer zu verdauen sind. Im Grunde hat man aber das Gefühl mit einem Bekannten zu sprechen, einem Urgroßvater zuzuhören. Sobald man sich dann jedoch die Geschwindigkeit und das Ausmaß der land(wirtschaft)lichen Veränderungen dieser Gegenden vor Augen führt, möchte man denken, Wallaces Eindrücke lägen bereits tausende von Jahren zurück!
Die heutige Welt ist vollkommen anders als sie es zu Wallaces Zeiten war. Es ist so wichtig, sich klarzumachen, dass die Regenwälder, die Wallace damals erkundete und so lebendig beschreibt, mittlerweile massiv verkleinert, zerstückelt, zerstört worden sind – und es ist wichtig, dann auch verstehen, warum dies eine ganze Reihe von echten Problemen produziert. Darum ergab sich für uns die Frage: Nachdem Wallace (parallel zu Charles Darwin) das Prinzip der Evolution durch natürliche Selektion erkannte, indem er die Artenvielfalt dieser Regionen untersuchte – wäre dies auch noch möglich, wenn er diese Gegenden heute bereiste? Hat der moderne Mensch das Verschwinden des Vermächtnisses der Evolution herbeigeführt? Und wenn ja, wie verändert dies dann die Rolle naturkundlicher Sammlungen im 21. Jahrhundert?
Um ein Beispiel zu geben: Der Wissenschaftliche Direktor des CeNak, Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, schreibt in seiner Wallace-Biografie auch über die weitgehende Zerstörung tropischer Lebensräume im heutigen Indonesien. Und er macht deutlich, dass wir hier in Europa auch sehr viel damit zu tun haben. Aber ergibt sich daraus nicht auch eine neue Herausforderung für das Naturkundemuseum? Mit anderen Worten, inwiefern verändern aktuelle gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Realitäten den Auftrag dieser Institution? Beziehungsweise, wie verändert sich dieser Auftrag, sobald man beginnt, auch den historischen Blick, für den solche Institutionen stehen, mit zu reflektieren? Ja, was soll in den Ausstellungen solcher Häuser überhaupt gezeigt werden? Und mit welchen Methoden, Strategien macht man das vor dem Hintergrund der Sixth Mass Extinction?
Wen möchten Sie mit der Ausstellung ansprechen?
Die Ausstellung richtet sich an alle, die sich für Naturbilder und deren Wandlung über die Zeit interessieren. Sie bietet sicherlich auch Stoff und Sinneseindrücke für Leute, die wissen wollen, ob und wie zeitgenössische künstlerische Praxis einen Raum aufmacht für neue Fragestellungen in Zeiten des anthropogenen Klimawandels und der Ausrottung vieler Arten überall auf dem Planeten. Das heißt natürlich mitnichten, dass die Ausstellung Antworten auf all diese Fragen liefert oder auch nur liefern will, aber sie ist immerhin eine Einladung, gemeinsam über solche Themen nachzudenken und auch andere Überlegungen in den Raum zu stellen. Denn sicherlich gibt es niemanden – niemanden, der heute auf der Erde lebt – den diese radikalen planetaren Veränderungen nicht betreffen werden. Aus dieser Sicht ist es also wirklich allerhöchste Zeit, dass wir neue Sensibilitäten, Verständnisse und Fähigkeiten entwickeln und damit verbunden auch neue Begriffe, Konzepte und Wortschätze formulieren, die helfen diese Veränderungen zu beschreiben und zu verstehen.
Ein solches Projekt kann man aber nur gemeinsam realisieren und die Ausstellung ist eine Einladung an eine breite Öffentlichkeit. Der Eintritt ist frei und alle sind willkommen!