Mythos (Regen-)Wald zwischen Kunst- und Naturforschung
Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald
10. November 2017 bis 29. März 2018
Der Wald ist ein Mythos. Besungen und vergoldet von Künstlerinnen und Künstlern aller Zeiten und Regionen. Er ist Sehnsuchtsort, Lebenswelt und Ressource. Für europäische Naturforscher des 19. Jahrhunderts auch Stätte der Erkenntnis. Doch wie sieht der (Regen-)Wald heute aus? Wie hat der Mensch diesen idealen Lebensraum so vieler Tiere und Pflanzen nach seinen Bedürfnissen verändert, durch europäischen Kolonialismus und Industrialisierung das fein austarierte Zusammenspiel der Arten – vor allem in den tropischen Regionen – zerschlagen? Und andersherum, welche Erkenntnisse gibt es heute darüber, wie der Mensch aus diesen fruchtbaren Gefügen eigentlich gar nicht wegzudenken ist, weil in vielen Urwäldern indigene Kultivierungspraktiken verwurzelt sind, die erst durch großflächige Abholzung zum Vorschein treten? Ist die Trennung von Natur und Kultur aus naturwissenschaftlicher Perspektive im Anthropozän noch haltbar?
Mit der Sonderausstellung Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald holt das Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg das aktuelle Problem- und Forschungsfeld von Artensterben, Entwaldung und Klimawandel mit zeitgenössischen Kunstwerken ins Zoologische Museum. Vom 10. November 2017 bis 29. März 2018 verwandeln audiovisuelle Installationen, Fotografien, Filme und Skulpturen internationaler Künstlerinnen und Künstler die Ausstellungshalle in einen (bedrohten) Lebensraum Wald. In Zusammenarbeit mit Kustodinnen und Kustoden der wissenschaftlichen Sammlungen des CeNak, des Herbarium Hamburgense und des Nutzpflanzenmuseums präsentieren die Ausstellungskuratoren Anna-Sophie Springer und Dr. Etienne Turpin eine Vielzahl botanischer und zoologischer Objekte als Referenzen für die Transformationen tropischer Ökosysteme seit deren Erschließung durch europäische Naturforscher vor gut eineinhalb Jahrhunderten. Verschwindende Vermächtnisse zeigt unvergleichliche Artenvielfalt somit im Spannungsfeld von Wissenschaft und Monokultur.
Anlass der Ausstellung ist der 160. Jahrestag der Veröffentlichung der Darwin-Wallace-Papiere, einer der zentralen Abhandlungen der Biologie als wissenschaftlicher Disziplin. Der britische Naturforscher und Naturaliensammler Alfred Russel Wallace (1823–1913) unternahm im 19. Jahrhundert Expeditionen nach Südamerika und Südostasien. Seine umfassende Sammlung gilt als Grundlage seiner bahnbrechenden Selektionstheorie. „Wallace hatte das Glück, mit der Amazonasregion und den Indo-Malaiischen Inseln zwei der artenreichsten Lebensräume der Erde zu erforschen“, sagt CeNak-Direktor und Wallace-Biograph Prof. Dr. Matthias Glaubrecht. „Heute verlieren diese Gebiete durch die Abholzung der Regenwälder auf dramatische Weise ihre Biodiversität. Mit künstlerischen Mitteln wollen wir auf diese Verschwindenden Vermächtnisse aufmerksam machen.“
Fast alle künstlerischen Positionen wurden eigens für die Sonderausstellung geschaffen, andere fanden bereits weltweit Würdigung in renommierten Museen, Galerien und Biennalen. Alle 13 Werke beschäftigen sich mit den aktuellen Umweltveränderungen in Indonesien und im Amazonasgebiet. Im Spiegel der Expeditionen des Natur- und Evolutionsforschers Alfred R. Wallace eröffnen sie ein Spannungsfeld aus futuristischen Naturbildern und historischen Naturalien, aus Realität und Fiktion, Schönheit und Schrecken. Mit ihrem Ausstellungskonzept und vor dem Hintergrund aktueller Geschichtsschreibung werfen die Kuratoren Springer und Turpin etliche Fragen auf und laden ihr Publikum auf eine spannende Reise ein: „... Prof. Dr. Glaubrecht schreibt in seiner Wallace-Biografie auch über die weitgehende Zerstörung tropischer Lebensräume im heutigen Indonesien. Und er macht deutlich, dass wir hier in Europa sehr viel damit zu tun haben. Aber ergibt sich daraus nicht eine neue Herausforderung für das Naturkundemuseum? Mit anderen Worten, inwiefern verändern aktuelle gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Realitäten den Auftrag dieser Institution? Beziehungsweise, wie verändert sich dieser Auftrag, sobald man beginnt, auch den historischen Blick, für den solche Institutionen stehen, mit zu reflektieren?"
Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald ist ein Projekt von Anna-Sophie Springer und Dr. Etienne Turpin. Die Ausstellung wird vom Centrum für Naturkunde realisiert und ist hier vom 10. November 2017 bis 29. März 2018 zu sehen. Weitere Stationen von Verschwindende Vermächtnisse sind 2018 die Projektpartner, das Tieranatomische Theater der Humboldt-Universität zu Berlin und das Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in Halle/Saale. Der Ausstellungszyklus ist eine Kooperation mit der Schering Stiftung und dem Goethe-Institut Singapur. Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
Kooperation mit der