Interviews
Hier kommen die Ausstellungsmacher zu Wort und geben aus ihrer ganz persönlichen Sicht wieder, wie die Sonderausstellung "Eozän – Am Beginn unserer Welt" entsteht und welchen Anteil sie daran haben. Ob Gestaltung oder Forschung – unsere Experinnen und Experten konnten ganz unterschiedliche Disziplinen einbringen.
Paläoklimaforschung: Zurück in die Zukunft
Ulrich Kotthoff blickt in die Vergangenheit, um Erkenntnisse für die Zukunft zu gewinnen. Pollenkörner und Einzeller aus Meeres- und Seeablagerungen, fossile Insekten und in Bernstein konservierte Lebewesen liefern dem Leiter des Geologisch-Paläontologischen Museum am CeNak detaillierte Berichte über das Leben in vergangenen Erdzeitepochen wie dem Eozän. So kann er frühere Ökosysteme rekonstruieren und Klimaänderungen der Vergangenheit ermitteln.
- Das Eozän liegt über 33 Millionen Jahre zurück. Wie genau können Paläontologen das Leben vor so langer Zeit erforschen?
Aus Sicht eines Geowissenschaftlers liegt das Eozän gar nicht so weit zurück. Wir haben daher relativ viele „Schaufenster“ in diese Zeit. Darunter fallen Tiefseeablagerungen, aber auch Ablagerungsgesteine aus früheren Seen, die man durch Forschungsbohrungen untersuchen kann. Die Grube Messel bei Darmstadt ist ein gutes Beispiel für einen solchen See. Dort kann man auch großflächige Forschungsgrabungen durchführen.
- Welche Anhaltspunkte liefern Ihnen Bohrungen und Grabungen für den Aufbau damaliger Ökosysteme?
Um beim Beispiel Messel zu bleiben: In den Ablagerungsgesteinen können wir Forschende Pollenkörner und Reste von weiteren Pflanzen- sowie Mikroorganismen finden. Diese erlauben uns, die Vegetation rund um den früheren See sowie die Mikroflora und -fauna innerhalb des damaligen Gewässers zu rekonstruieren. Da in der Regel die älteren Ablagerungen unten liegen, bekommen wir einen Überblick, wie die Flora und Fauna zu welcher Zeit aussah. Bei den Grabungen können wir Paläontologen darüber hinaus größere Fossilien von Pflanzen und Tieren finden und erhalten so das umfassende Bild eines Ökosystems – vom lauernden Krokodil und dem kleinen Urpferd bis hin zum Weinrebengewächs und der Süßwasseralge.
- Welche Erkenntnisse gewähren Ihnen Bernstein in Ergänzung zu den Fossilien aus Messel?
Wir haben in Europa, zum Beispiel auch in Bitterfeld, einige große Bernsteinvorkommen, die wohl nur wenig jünger sind als die Fossilien aus Messel. Diese Vorkommen untersuchen Danilo Harms von der Abteilung Arachnologie und ich gerade im Rahmen eines Projekts auf die darin enthaltenen Spinnentiere. In Bernstein lassen sich zwar nur selten Hinweise auf größere Lebewesen finden, dafür aber sehr gut erhaltene kleinere Tiere, Pflanzenreste und Pilze entdecken. Außerdem sind in Bernstein wiederum Tiere eingeschlossen, die eher nicht in Seeablagerungen vorkommen. Der Bernstein stellt also ein weiteres wichtiges Schaufenster in die Ökosysteme der Vergangenheit dar.
- Wieso untersuchen Sie gerade Spinnentiere?
Einige in Bernstein überlieferte Spinnentiergruppen sind bisher noch nicht detailliert untersucht worden. Dank einer Kooperation mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY bekommen wir nun hochaufgelöste Scans, die uns ganz neue Erkenntnisse liefern. So konnten wir anhand dieser dreidimensionalen Darstellungen zum Beispiel bereits eine Spinnenfamilie nachweisen, die man bisher nur aus der Gegenwart kannte – jetzt wissen wir, dass es sie schon im Eozän gab. Spinnentiere haben zum Teil sehr spezifische Ansprüche an Ökosysteme und das Klima. Daher können sie uns helfen, Klimarekonstruktionen zum Beispiel für das Eozän zu zu prüfen und ggf. zu optimieren und die Entwicklung von Lebensräumen besser zu verstehen.
- Und was können wir jetzt mit Blick auf die aktuelle Klimaerwärmung aus dem Eozän lernen?
Paläoklimaforscher kommen über ganz unterschiedliche Rekonstruktionsmethoden zu kongruenten Schlussfolgerungen: Im Eozän, gerade im frühen Eozän, hatten wir signifikant wärmere Bedingungen, die mit höheren Gehalten an atmosphärischem CO2 und weiteren Treibhausgasen gekoppelt waren. Der Meeresspiegel war etwa 50 bis 100 Meter höher als heute. Norddeutschland war zumindest teilweise vom Vorläufer der heutigen Nordsee bedeckt. Wir hatten hier eher subtropische bis tropische Bedingungen. Im Gebiet von Messel lebten zum Beispiel Krokodile und wärmeliebende Schildkröten. Wir haben also mit dem Eozän ein mögliches Szenario, wie die Welt sich entwickeln könnte, wenn wir mit dem Ausstoß von Treibhausgasen nicht vorsichtig sind. Man muss allerdings dabei bedenken, dass die Kontinente im Eozän noch etwas anders angeordnet waren. Hinzu kommt, dass einige der derzeitigen, vom Menschen beeinflussten Änderungen sehr schnell ablaufen.
Ulrich Kotthoff ist Paläontologe und leitet das Geologisch-Paläontologischen Museums im Centrum für Naturkunde.
Ausstellungsdesign: Zwischen Fakten und Fantasien
Das Eozän ist ein längst vergangenes Zeitalter, das vor etwa 34 Millionen Jahren endete. Wie erweckt man die Natur dieser Zeit für eine Ausstellung zum Leben? Wie gelingt es, Besucherinnen und Besucher mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, Fossilien und Fragmenten zum Staunen zu bringen? Julia Pawlowski ist Ausstellungsdesignerin und hat zusammen mit den wissenschaftlichen Kuratoren der Eozän-Ausstellung ihr Gesicht gegeben.
Julia Pawlowski im Interview:
- Wie holen Sie ein längst vergangenes Erdzeitalter zu uns in die Gegenwart?
Um dies zu schaffen, galt es für mich zunächst, mit den üblichen Sehgewohnheiten bewusst zu brechen. Die Besucherinnen und Besucher tauchen dort nicht nur in fossiles Grau und Braun, sondern auch in eine äußerst bunte Farbwelt ein. Die Ausstellung ist visuell in drei Teile eingeteilt: Blau steht für die kosmische Katastrophe des Meteoriteneinschlages, ohne den es das Eozän so gar nicht gegeben hätte. Grün steht für die vielfältige Dschungelwelt, die im Deutschland des Eozäns die Landschaft prägte. Das Dunkelrot rundet die Ausstellung ab. Hierin kommen die großen Bernsteininklusen, die „Sonnensteine“ besonders zur Geltung. „Eozän“ bedeutet Neuanfang, kann aber auch für „Morgenröte“ oder „Tagesanbruch“ stehen.
- Inwiefern hilft uns eine Ausstellung, wissenschaftliche Zusammenhänge zu verstehen?
Paläontologen haben viel Hintergrundwissen zu Fossilien und den anderen Objekten aus dem Eozän, das sie direkt in ihren Köpfen abrufen und verbildlichen können. Wenn Besucherinnen und Besucher in einem Museum ein fossiles Skelett anschauen, fehlt ihnen aber häufig diese Einordnung, sie könnten die Sensation verpassen. Als Kommunikationsdesignerin habe ich die Aufgabe, möglichst viel dieses Wissens und der damit verbundenen Forschungsfragen sichtbar zu machen. Daher ist die Ausstellung sehr bildreich und farbenfroh – in jeder Ecke versteckt sich eine Abbildung eines Lebewesens aus dem Eozän. Die Vielfalt der Lebewesen sowie das mosaikartige Stückwerk, das wissenschaftliche Arbeit bedeutet, werden hier z.B. durch Fotografien oder Illustrationen symbolisiert. Die Ausstellung ist damit gewissermaßen eine Verbildlichung des aktuellen Forschungsstands.
- Welcher Spannungsbogen führt unterschiedlichste Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung?
Die Besucherinnen und Besucher können die Welt des Eozäns aus ganz verschiedenen Blickwinkeln kennenlernen: Während es im Dschungelraum wie in einer Zeitreise vor allem um den früheren Messelsee und die Lebenswelt im eozänen Deutschland geht, bietet der Bernsteinraum die Möglichkeit, die Perspektive der Wissenschaft einzunehmen: Wie werden Bernsteininklusen erforscht? Und was sehen die Forscherinnen und Forscher, wenn sie in ein Mikroskop schauen? Für jeden Blickwinkel wurden entsprechend Exponate, Texte und auch visuelle Schwerpunkte gewählt. In der Entdeckerlinie werden zudem Kinder und ihre Begleitpersonen von unserem „Forscherchen“, einem kleinen Maskottchen, an die Hand genommen und spielerisch durch die Ausstellung geführt.
Julia Pawlowski ist Designerin mit Schwerpunkt visuelle Wissenschaftskommunikation. Sie arbeitet als Ausstellungsdesignerin, Grafikerin und als Beraterin zur visuellen Präsentation von Forschungsarbeiten.
Wissensvermittlung: Vielfältige Zugänge mit „Aha!“-Momenten schaffen
Auf unterschiedlichen Wegen einem diversen Publikum Wissen zu vermitteln, ist dem gesamten CeNak und insbesondere A. Marie Rahn, stellvertretende Leiterin der Wissenschaftlichen Bildung, ein sehr wichtiges Anliegen. Die Mitarbeit der Abteilung an Dauer- und Sonderausstellungen, der Erfahrungsschatz des Teams und ihre vielfältigen didaktischen Angebote sorgen dafür, dass ein Besuch für unterschiedliche Besuchergruppen und Altersstufen noch einmal mehr zu einem spannenden und nachhaltigen Erlebnis wird.
Ein Gespräch mit A. Marie Rahn:
- Es gibt eine „EntdeckerSpur“ im Eozän – was steht dahinter und für wen ist sie gedacht?
Unsere „EntdeckerSpur“ schafft in allen Teilen der Ausstellung alternative Zugänge zu einer Lebenswelt, die so weit zurück liegt, dass wir Menschen sie uns heute nur schwer vorstellen können. Die gesonderten Stationen richten sich vornehmlich an Familien mit Kindern – haben aber für alle Altersstufen etwas zu bieten. Jede einzelne regt verschiedene Sinne, genaueres Hinsehen und eigenes Nachdenken an und bietet auch generationsübergreifend Gesprächsanlässe. Gemeinsam gehen wir dabei der Frage nach, welche Erkenntnisse uns die Wissenschaft bringen kann und wo ihre Grenzen liegen.
- Welche Möglichkeiten bietet die Eozän-Ausstellung außerdem für die Wissensvermittlungen?
Die Originalobjekte, Illustrationen und Bezüge zum aktuellen Forschungsstand bilden eine ideale Basis für unterschiedlichste Vermittlungsformate - je nach Motivation, Vorkenntnissen und Interessenlage unseres Publikums. Führungen, Workshops, analogen sowie digitalen Zusatzangeboten können wir prinzipiell alle Teilaspekte und jedes gezeigte Lebewesen noch einmal detaillierter beleuchten, weitere Zusammenhänge aufzeigen und im direkten Austausch neue Perspektiven einbeziehen – so wird es noch lebendiger!
- Die Sonderausstellung hat nur eine begrenzte Laufzeit – gibt es auch längerfristige und überregionale Effekte?
Bei jeder Konzeption lernen wir für und durch unser Publikum dazu und erweitern unsere Angebote. Die Pandemieerfahrungen unterstreichen zudem unseren Wunsch, mehr Details online räumlich wie zeitlich unbegrenzt verfügbar zu machen - wie etwa den extra für uns gezeichneten Comic, der einen kleinen Vorgeschmack darauf bietet. Diese Ausstellung hätte außerdem ohne die Mitwirkung verschiedener Förderer, Partner und Leihgeber nicht entstehen können. Auf den stets produktiven Austausch in den weitreichenden, oft langjährigen Netzwerken, die dahinterstehen, freuen wir uns auch in der Zukunft!
A. Marie Rahn ist stellvertretende Leiterin der Wissenschaftlichen Bildung und des Besuchermanagements. Mit über 20 Jahren Erfahrung als Museumspädagogin und Ausstellungskuratorin vermittelt sie nun das Wissen, die Forschung und Sammlungen des CeNaks an die breite Öffentlichkeit.
Biodiversitätsforschung: Wenn das Ende ein evolutionärer Anfang ist
Nachdem die Dinosaurier am Ende des Erdmittelalters ausstarben, „eroberten“ neue Arten von Vögeln und Säugetieren die Erde. Matthias Glaubrecht, Wissenschaftlicher Direktor des CeNak und Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg, blickt in seinem Buch „Das Ende der Evolution. Der Mensch und die Vernichtung der Arten“ in eine beinahe ebenso abrupt endende Blütezeit der Biodiversität. Diesmal ist der Mensch die Ursache des Artenschwundes durch die fortwährende Zerstörung der natürlichen Lebensräume.
- Befinden wir uns inmitten eines Massensterbens und ist das „Das Ende der Evolution“ noch abwendbar?
Tatsächlich hat der Artenschwund in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitgehend unbemerkt von uns eingesetzt. Er beschleunigt sich seit zwei, drei oder vier Jahrzehnten immer mehr, je mehr Menschen wir werden. Für die kommenden Jahrzehnte erwarten Experten einerseits zwei bis drei Milliarden mehr Menschen, die alle ernährt werden müssen und dadurch den Druck auf die natürlichen Lebensräume erhöhen werden. Andererseits sagen die Studien des Weltbiodiversitätsrates IPBES voraus, dass bis zu einer Million Arten aussterben werden. Nur wenn wir anderen Arten mehr Raum lassen und zurückgeben, wird sich dies aufhalten lassen.
- Die Dinosaurier sind vor dem Eozän ausgestorben. Was ist von ihnen evolutionär geblieben?
Die Gruppe der Dinosaurier war über 150 Millionen Jahre ungeheuer erfolgreich. Sie sind nicht etwa ausgestorben, weil ihre Zeit vorbei war oder sie schlecht angepasst waren, wie fälschlicherweise immer angenommen wird. Die meisten Linien starben letztlich aus, weil vor 66 Millionen Jahren der Einschlag eines Meteoriten die Lebensräume der Erde zerstörte. Von den damaligen Arten haben nur die Vorfahren der heutigen Vögel überlebt. Dazu gehört etwa auch der Gastornis des Eozäns – ein flugunfähiger Gänsevogel-Verwandter, wie wir ihn auch in der Ausstellung zeigen. Ihm wurde lange Zeit eine räuberische Lebensweise wie bei früheren Dinosauriern unterstellt; er könnte aber sehr wohl ein behäbiger Pflanzenfresser gewesen sein.
- Für welche Besonderheit steht das Zeitalter des Eozäns und was fasziniert Sie als Evolutionsbiologe?
Nach der Katastrophe, die neben den Dinosauriern auch der Mehrzahl der damaligen Flora und Fauna das Ende brachte, dauerte es viele Millionen Jahre, bis sich die Biodiversität wieder erholt hat. Erst mit dem deshalb treffend so benannten Eozän – dem vor etwa 56 Millionen Jahren einsetzenden Zeitalter der „Morgenröte“ – entstanden beispielsweise bei den Säugetieren und Vögeln wieder neue und artenreiche Lebensformen. Dieses Kommen und Gehen der Tierwelt im Verlauf der Evolution fasziniert mich – und es sollte uns zugleich auch ein lehrreiches Beispiel für unseren Umgang mit der heutigen Biodiversität sein.
Prof. Dr. Matthias Glaubrecht leitet als Wissenschaftlicher Direktor das Centrum für Naturkunde. Der Evolutionsbiologe ist Professor für die Biodiversität der Tiere.