Bioblitz in Hamburgs Parks und Gärten
19. Juni 2020
Foto: UHH/CeNak, Wenzel
Was ist Wildkraut, was ist Zierblume, wo fängt der Park an, wo endet das Gehölz? Unter dem Motto „Natürlich Hamburg!“ kartierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Centrums für Naturkunde (CeNak) am diesjährigen „Langen Tag der StadtNatur Hamburg“ städtische Gärten und Parkanlagen. Sie wollten wissen: Was lebt dort und wie könnte es noch lebhafter werden? Mit Bestandsaufnahmen dreier Gebiete und Videobeiträgen zur Feldforschung gestaltete sich im Jahr der Corona-Krise der diesjährige Aktionstag des CeNak kurz und weitgehend digital – aber vor allem artenreich.
In der 100 Jahre alten Steenkampsiedlung in Hamburg-Bahrenfeld versammeln sich in den verwunschenen Gärten diverse Gäste: Klatschmohn und Schöllkraut locken Wildbienen an und das Totholz unterm Holunderstrauch entpuppt sich als natürlicher Insektennistplatz. „Privatgärten nehmen in Städten einen beachtlichen Flächenanteil ein und sind wichtige Biotope. Allerdings gibt es kaum verfügbare Daten zu vorkommenden Tier- und Pflanzengemeinschaften“, weiß Martin Kubiak, Insektenforscher am CeNak. Das wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ändern. Die Daten, die hier bei der Arteninventur in 19 Gärten gesammelt wurden, liefern einen ersten Einblick in deren Artenvielfalt und sollen eine Vergleichsbasis für folgende Bestandsaufnahmen bilden.
So konnten die Expertinnen und Experten mehrere Amphibienarten, darunter auch gefährdete Arten wie den Grasfrosch (RL HH: 3) oder die Erdkröte (RL HH: V), in zahlreichen Gärten nachweisen. Martin Kubiak: „Diese Funde belegen, welche große Bedeutung strukturreich gestaltete Gärten besitzen: Eine gewisse Anzahl an Kleingewässern sorgt für den Erhalt von Amphibienarten, die in der intensiv genutzten Agrarlandschaft immer weniger geeignete Lebensbedingungen vorfinden und dadurch im Bestand zurückgehen.“
Bei der Bioblitz-Aktion ganz in der Tradition des GEO-Tags der Natur am 13. Juni fanden die Fachleute auch zahlreiche Insektenarten – zum Beispiel das Langrüsselige Stockrosen-Spitzmäuschen. Eine Käferart, die erst seit Ende des 20. Jahrhunderts vermehrt in Mitteleuropa auftritt und ausschließlich auf der Stockrose zu finden ist. Auch Gartenlaubkäfer, Ritterwanzen und Ackerhummeln wurden gesichtet. „Wir erwarten noch weitere Funde auch seltener Arten“, glaubt Martin Kubiak, denn die umfangreichen Auswertungen der sehr artenreichen Tiergruppen sind noch nicht abgeschlossen.
Die Arteninventur in den Gärten hatte für Martin Kubiak noch zwei weitere, positive Effekte: „Durch die Aktion erweitern alle Beteiligten ihre Artenkenntnis durch praktische Arbeit. Zudem arbeiten wir mit Studierenden sowie Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern eng zusammen.“ Die abschließenden Ergebnisse der Erfassung werden im Spätherbst vorliegen. Im Anschluss wollen die Expertinnen und Experten gemeinsam mit den Bewohnern der Steenkampsiedlung die Artenvielfalt in der Siedlung erhalten und weiter fördern, indem sie entsprechende Konzepte entwerfen und miteinander diskutieren.
Videobeitrag zur Steenkampsiedlung
Eine Erfassung in der Park- und Grünanlage „Obere Bille“ in Hamburg-Bergedorf stand auch auf dem Programm. 15 Fachleute der Tier- und Pflanzenkunde machten sich in Taucheranzug oder ausgerüstet mit Kescher und Bodenfallen auf die Suche und wurden fündig: Sie wiesen zahlreiche Arten nach und entdeckten eine in Hamburg als „vom Aussterben bedroht“ geltende Art – die Blauflügel-Prachtlibelle (Calopteryx virgo). Sie ist auf sauerstoffreiche und in der Regel beschattete, strukturreiche Waldbäche angewiesen – wie die ebenfalls seltene und an der Bille in größerer Zahl nachgewiesenen Bachhafte (Osmylus fulvicephalus).
Diese Funde belegen eine vergleichsweise naturnahe Ausprägung des untersuchten Bille-Abschnitts, der sich durch relativ große Strukturvielfalt und vergleichsweise geringe stoffliche Belastungen auszeichnet. „Im Gebiet kommen außerdem seltene Feucht- und Nasswiesen vor. Für eine Park- und Grünanlage ist ein Auftreten dieser Biotoptypen, die sonst vornehmlich in Naturschutzgebieten zu finden sind, eher ungewöhnlich“, zeigt sich Martin Kubiak überrascht. „Die umfangreichen Insektenaufsammlungen liefern wichtige Informationen zur Ableitung von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen, die für den dauerhaften Erhalt dieser wertvollen Lebensräume notwendig sind.“
Videobeitrag zur Artenerfassung und Vogelkunde in der Park- und Grünanlage „Obere Bille“
Nachtaktive Insekten hatten Martin Kubiak und sein Masterstudent Timo Zeimet an zwei verschiedenen Standorten im Fokus. Sie beobachteten in einem der letzten Hochmoore Hamburgs, dem Schnaakenmoor, seltene Arten wie das Kleine Nachtpfauenauge – eine in Schleswig-Holstein als gefährdet eingestufte Nachtfalterart. An der Alsterschleife in Poppenbüttel gingen Timo Zeimet bei einer Lichtfang-Aktion – in Kooperation mit dem NABU – insgesamt 34 Nachtfalter-Arten ins Netz.
Videobeitrag zu der Bestandsaufnahme im Hamburger Schnaakenmoor
„Wir freuen uns, dass wir trotz der schwierigen Umstände in diesem Jahr die Tradition des GEO-Tags der Natur aufrechterhalten und einige Bioblitz-Aktionen durchführen konnten. Leider können viele Expertinnen und Experten, aufgrund der Corona-Einschränkungen, nicht persönlich anwesend sein. Aus diesem Grund reichen wir unsere Belege zur Bestimmung weiter. Auf eine genaue Artenzahl werden wir deshalb in diesem Jahr noch etwas länger warten müssen. Alle Naturinteressierten, die wegen der Sicherheitsbeschränkungen nicht teilnehmen durften, können dafür nun virtuell mit uns die grünen Ecken Hamburgs erkunden.“
Zu allen Videobeiträgen:
https://tagderstadtnaturhamburg.de
- Unterwegs in der Stadtnatur: Artenerfassung an der Bille in Hamburg-Bergedorf
- Mit den Forschern im Feld: Biomonitoring in Hamburg-Moorfleet
- Leuchtabend im Schnaakenmoor: Biodiversitäts-Forschung in Hamburgs letzten Hochmooren
- Artenvielfalt trifft Gartenvielfalt: Biomonitoring in der Hamburger Steenkampsiedlung
- Eine Wattwanderung auf dem Trocknen im Zoologische Museum Hamburg
Seit 2017 lädt das CeNak, als wichtiger Kooperationspartner des Langen Tags der Stadtnatur der Loki Schmidt Stiftung und des GEO-Tags der Natur, Bürgerinnen und Bürger an einem Wochenende Mitte Juni zur Entdeckung der Natur ein. Ein großes Ziel ist es hierbei, auf die Bedeutung von Artenkenntnis und gleichzeitig auf die Bedrohung der Vielfalt von Lebensräumen, Pflanzen- und Tierarten aufmerksam zu machen.
Mehr zum GEO-Tag der Natur beim Langen Tag der StadtNatur finden Sie hier.