IceAGE3-Expedition mit faszinierenden Tiefsee-Bildern
19. August 2020
Foto: Stefanie Kaiser
Für Anne-Nina Lörz war es eine aufregende und fruchtbare Expedition. Sie bestimmte an Bord hunderte Amphipoden und freute sich, diese in ihren echten Farben bestaunen zu dürfen. Die in Ethanol aufbewahrten Krebse verlieren schnell ihre Färbungen und Muster. Während der Forschungsreise IceAGE3 wurden bereits 5291 Amphipoden in die Bord Datenbank registriert. IceAGE (Icelandic Animals Genetic and Evolution) ist ein multidisziplinäres Programm unter Leitung des Deutschen Zentrums für Marine Biodiversität, DZMB, Senckenberg in Hamburg.
Foto: Nancy Mercado Salas
Ein Highlight war ein Ausflug im Beiboot Zodiac. Während der Expedition wurde an keiner Stelle angelandet, aber einmal durften Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von außen das Forschungsschiff Sonne bewundern, bei glatter See in der Nähe Islands.
Foto: Viola Siegler
Jede Tiefseeexpedition ist sehr spannend. Anne-Nina Lörz arbeitet unglaublich gern an Bord.
Foto: Anne-Nina Lörz
Mit dem Epibenthosschlitten, einem Gerät für die Erforschung des Tiefseelebens, sammeln die Forschenden vor allem kleine, sich bewegende Tierchen am Meeresgrund. Die Makrofauna bleibt in dem extrem feinmaschigen Netz von 300 Mikrometer hängen. Bei über 4 000 Meter Wassertiefe dauert ein Einsatz über fünf Stunden. Sehr behutsam und langsam wird der Schlitten über den Grund und durch die Wassersäule bewegt. Dabei bleiben selbst filigrane Fortsätze der Tiere, wie Antennen, in gutem Zustand. Traditionell wird ein neuer Epibenthos-Schlitten nach den Großmüttern der Beteiligten genannt, dieser heißt Ursula.
Foto: Karlotta Kürzel
Epimeria loricata gehört zur Familie Epimeriidae, diese sind Lieblingsamphipoden von Anne-Nina Lörz. Diese Art wurde schon von 1879 von G. O. Sars im Detail beschrieben. Viele Arten dieser Familie sind sehr farbenfroh, Juwelen der Tiefsee.
Foto: Solvin Zankl
Dieser Lauerjäger ist ein Flohkrebs (Amphipode) der Gruppe Caprellidae, er wohnt auf einer gelben Weichkoralle und streckt sich in die Wassersäule, um z.B. kleine Krebse zu fangen.
Foto: Solvin Zankl
Während der Expedition hat sich CeNak-Tiefseeforscherin Nancy Mercado Salas auf die Suche von Ruderfußkrebsen gemacht. Glücklicherweise hat sie viele Tierchen auch der Gruppe der Copepoda Pontostratiotes gefunden, deren Verwandtschaftsbeziehung sie morphologisch und genetisch untersuchen wird.
Foto: Solvin Zankl
Während der IceAGE3-Expedition wurden nicht nur Ruderfußkrebse (Copepoden) untersucht, die am Meeresboden leben, sondern auch planktonische. Calanoide Copepoden sind die dominierende Hauptgruppe des marinen Planktons und machen generell 55 bis 95 Prozent der Planktonproben aus. Daher spielen sie eine Schlüsselrolle bei der Energieübertragung in marinen Ökosystemen. Die Live-Fotografie während der Expedition ermöglichte es den Forschenden, die erstaunliche Vielfalt an Farben und Formen dieser kleinen Tiere zu sehen.
Foto: Karlotta Kürzel
Rhachotropis aculeata wurde vor 240 Jahren (!) beschrieben, von Lepechin 1780. Diese Art der Familie Eusiridae hat sehr lange Fortsätze. Dank der vorsichtigen Fangmethode des EBS sind die langen Antennen und Beine noch vollständig. Per COI Sequenzen konnten die Foschenden nachweisen, dass diese Art wirklich zirkumarktisch vorkommt.
Foto: Nancy Mercado Salas
ROV (Remotely Operated Vehicle)-Einsätze sind wie ein synchronisierter Tanz zwischen den acht ROV Mitarbeitenden und den Mitgliedern der Mannschaft: Jede Person hat eine spezielle Aufgabe und muss sie zum genauen Zeitpunkt ausführen. Da das Gerät so schwer ist und eine eigene Winde benötigt, findet der gesamte Einsatz auf dem Heck statt und wird mit Hilfe des A-Rahmens ausgefahren.
Foto: Anne-Nina Lörz
Das ROV wird aus einem Container an Bord des Forschungsschiffes gesteuert und überträgt hochaufgelöste Videobilder in Echtzeit in den Showroom an Bord des Schiffs; bei IceAGE3 war es das ROV KIEL 6000 vom Geomar in Kiel. Zwei Piloten steuern das ROV, zwei Wissenschaftler sitzen hinter ihnen, per Headset im Austausch mit dem „Showroom“, wo der Livestream koordiniert und Fragen der Öffentlichkeit beantwortet werden - und hier hatte Anne-Nina Lörz das Privileg, an der Beprobung der Minuten zuvor entdeckten „Klaren Raucher“ beteiligt zu sein.
Foto: GEOMAR / Senckenberg
Eines der Ziele der IceAGE 3 Expedition war es, die potenziellen hydrothermalen Quellen zu lokalisieren. Hier schwimmt ein Rotbarsch, Sebastes norvegicus (Ascanius, 1772) an den "klaren Rauchern" vorbei, in ca. 650 Metern Wassertiefe. Die Größe des Tieres betrug ca. 80 Zentimeter, es war damit ziemlich groß und sehr alt.
Foto: GEOMAR / Senckenberg
Die neu entdeckte Hydrothermalquelle, hier der Hauptschlot, aus dem es „klar raucht“, umgeben von Bakterienmatten. Nach einer Beprobung können diese Raucher ca. zehn Zentimeter am Tag nachwachsen. Das „IceAGE Vent Field“ ist das zweite seiner Art auf dem Reykjanes Ridge, das sich von Island von der Reykjanes Peninsula bis zur Charlie Gibbs Fracture Zone erstreckt und gleichzeitig den nördlichen Teil des Midatlantischen Rückens bildet.
Foto: GEOMAR / Senckenberg
Ein ROV Tauchgang der IceAGE3 Expedition ins Norwegische Becken in 3250- 3700 Metern Tiefe zeigte Oasen des Lebens - auf dem weißen Schwamm Caulophacus cf. arcticus wohnen Decapoden und Amphipoden. Hartsubstrat ist rar in den Weiten des abyssalen Beckens.
Foto: Viola Siegler
Für die Multicorer (MUC)-Einsätze war Nancy Mercado Salas verantwortlich. Der MUC sammelt intakte Säulen des Tiefseesediments. Der MUC an Bord war mit zwölf langen „Beprobungsrohren“ ausgestattet. Die Rohre sind von beiden Seiten geöffnet, so dass Sediment und Wasser vom Tiefseeboden beprobt werden können, wenn das Gerät den Boden berührt. Nach der Beprobung werden die Rohre geschlossen.
Foto: Viola Siegler
Nancy Mercado Salas "gräbt“ gerne im Schlamm, deshalb untersucht sie die morphologische und genetische Vielfalt der Meiofauna und die Veränderungen in der Gemeinschaftsstruktur und -vielfalt, die durch menschliche Einflüsse (z.B. Klimawandel) hervorgerufen werden. Obwohl sie sich besonders für die Systematik der Copepoden interessiert, erprobt sie auch neue molekulare Technologien. Sie sollen die Überwachung und Bewertung der Meiofauna-Diversität in einer sich verändernden Welt optimieren.
Foto: Viola Siegler
Karlotta Kürzel war für die Lebendaufnahmen verantwortlich, d.h. sie hat Invertebraten aller Gruppen aufgenommen, sobald diese an Deck kamen und über zwei Millimeter groß waren. Karlotta beendet gerade ihre von Anne-Nina Lörz betreute Masterarbeit über interaktive Bestimmungsschlüssel bei kleinen Tiefseekrebsen.
Foto: Viola Siegler
Anne-Nina Lörz hat an Bord die DNA von über 100 Amphipoden extrahiert und Polymerase-Kettenreaktion (PCRs) laufen lassen. Für die verwendeten Extraktionskits mussten winzige Mengen Gewebe aus einem Amphipodenbein entnommen werden. Das ist insbesondere bei Seegang durchaus eine Herausforderung.
„Das war sehr bewegend - ich hatte Tränen in den Augen“, beschreibt Anne-Nina Lörz, Tiefseeforscherin am Centrum für Naturkunde (CeNak), den Moment, als die „Klaren Raucher“ auftauchten. Diese ersten Bilder von bislang unbekannten heißen Quellen am Meeresboden vor Island waren einer der Höhepunkte der IceAGE3 Expedition in den Nordatlantik. Ein weiterer: die ausgedehnten, farbenfrohen Gärten aus Kaltwasserkorallen.
Vor drei Wochen ist die Hamburger Wissenschaftlerin von der 35-tägigen Reise mit dem Forschungsschiff Sonne zurückgekehrt. IceAGE (Icelandic Animals Genetic and Evolution) ist ein multidisziplinäres Programm unter Leitung des Deutschen Zentrums für Marine Biodiversität (DZMB) Senckenberg in Hamburg. Seit ihrer Rückkehr konzentriert Anne-Nina Lörz sich auf ihr Schwerpunktgebiet: die Analyse winziger Flohkrebse (Amphipoden), deren Verbreitung möglicherweise klimatische Veränderungen in der Tiefsee widerspiegelt.
Zwischen steilen Gebirgen, auf weiten Ebenen, in den tiefsten Gräben, auf Kaltwasserkorallen und Schwämmen des Nordatlantiks wurden eine Vielzahl der kleinen, sehr diversen Flohkrebse entdeckt und gefangen. Amphipoden machen als Futter für Fische und Wale einen wesentlichen Teil des marinen Nahrungsnetzes aus. Veränderungen ihrer Vielfalt und Ökosysteme haben unmittelbaren Einfluss auf den gesamten Lebenskreislauf im Meer.
In dem über sechs Jahre laufenden Projekt „IceAGE-Amphipoda“ untersucht Anne-Nina Lörz seit 2018 im Kern die Frage: Welche Auswirkungen haben klimatische Veränderungen oder anthropogene Einflüsse auf die Artenvielfalt im Ozean um Island und welche Folgen hat dies letztlich für uns Menschen? Im Zentrum ihrer Untersuchungen stehen die Flohkrebse, zu denen sie vor einem Jahr ihre Habilitation vorgelegt hat. Auf der IceAGE3-Expedition trug sie wesentlich dazu bei, dass Hunderte von Krebstierexemplaren in die Crustacea-Sammlung des CeNak eingegliedert werden sowie für weitere molekulare Arbeiten geeignet fixiert werden können. Damit bilden sie die Basis für wichtige Vergleichsanalysen.
Ausgerüstet mit modernster Technik untersuchte das interdisziplinäre Team auf der FS Sonne, darunter zwei Wissenschaftlerinnen und zwei Studentinnen vom CeNak, verschiedene marine Lebensräume rund um Island. Der Tiefseeroboter ROV KIEL 6000 des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel hat dabei faszinierende Bilder, unter anderem von Kaltwasserkorallen, geliefert und schließlich auch die Entdeckung der Hydrothermalsysteme live bei YouTube übertragen. „Wegen der Corona-Pandemie konnten diverse internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht mitreisen“, so Anne-Nina Lörz. „Über den Livestream der Tauchfahrten des ROVs waren sie trotzdem aktiv in die Probennahme eingebunden.“
Weitere Einsätze im Tiefseesediment mit dem Multicorer (MUC) verantwortete Nancy Mercado Salas, Leiterin der Abteilung Crustacea im CeNak, in der auch Anne-Nina Lörz arbeitet. Während der Expedition nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf diesem Wege mehr als 250 Proben. Die Sedimente werden unter verschiedenen Ansätzen von einem internationalen Forscherteam nach diversen Gesichtspunkten untersucht. Nancy Mercado Salas hatte vor allem die Ruderfußkrebse im Blick.
„Für mich ist es immer wieder sehr aufregend, auf Fahrt zu gehen“, blickt Anne-Nina Lörz zurück. „Alle beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten mit großer Leidenschaft für ein gemeinsames Ziel. Wir tragen unsere Erkenntnisse aus den verschiedenen Forschungsrichtungen zusammen und werten sie aus. Und wenn wir dann gemeinsam solch aufregende Dinge wie die Raucher entdecken, sind das unvergessliche Momente im Wissenschaftlerleben.“