Vorbereitung für den Neustart: Blick hinter die Museumstüren
17. April 2020
Foto: Foto: UHH/CeNak, Bein
Anne Marie Rahn nutzt die Phase des geschlossenen Museums, um Federn aus dem Museumsfundus zu sichten. Jede Feder liefert ihr Informationen über deren ehemaligen Besitzer und die Funktion.
Auch für Walross Antje und Eisbär Smilla ist es einsam geworden. Das Zoologische Museum bleibt wegen der Corona-Pandemie derzeit geschlossen. Nicht jedoch für Marie Rahn, die jetzt Zeit findet, neue Formate für Workshops und Führungen durch die Ausstellung zu entwickeln. Ein Gespräch mit der Stellvertretenden Abteilungsleiterin „Wissenschaftliche Bildung und Besuchermanagement“ u. a. über ihre Arbeit mit Federn und Fellen und darüber, warum digitale Angebote keinen Museumsbesuch ersetzen.
Wie fühlt sich ein Museum ohne Besucher an - was vermissen Sie?
Marie Rahn: Wir befinden uns in einer völlig ungeahnten und für sehr viele Menschen ausgesprochen schwierigen Situation. Selbstverständlich mussten unsere Türen für den Publikumsverkehr nun schon einige Wochen geschlossen bleiben.
Dementsprechend ist jetzt dort, wo Menschen jeden Alters normalerweise auf Entdeckungstour gehen, lachen, staunen, andächtig unsere Exponate bewundern oder aber angeregte Unterhaltungen über sie mit unseren Guides und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen, gähnende Leere. Wobei – unsere Museen sind keineswegs völlig leer: Während wir unsere Besucherinnen und Besucher und den regen Austausch mit ihnen leider momentan vermissen müssen, nutzen wir zumindest eifrig die Zeit, um hinter den Kulissen den ersehnten Neustart vorzubereiten.
Auf welche neuen/alten Programme können sich die Besucherinnen und Besucher freuen, wenn das Museum wieder öffnet?
Marie Rahn: Unsere bewährten und beliebten Angebote wie z.B. zu heimischen Tieren und Dinosauriern bleiben selbstverständlich auch in Zukunft erhalten.
Auf unsere Besucherinnen und Besucher warten dann allerdings ein paar „Updates“: Wir bereiten gerade jeweils noch ein paar neue Handstücke, Bilder und Informationen für unsere Programme vor und entwickeln sie auch noch ein wenig weiter.
Daneben haben wir außerdem schon eine ganze Reihe weiterer Formate und Themen im Kopf: Neben Angeboten mit und zu unserer Vogelwelt, soll es z.B. bald auch eine kleine Veranstaltungsreihe für Erwachsene und Jugendliche im Mineralogischen Museum geben, wir planen Workshops rund um den Themenkomplex Bionik und entwerfen derzeit auch schon erste, mögliche Angebote und Inhalte zu unserer nächsten, mit Sicherheit sehr spannenden Sonderausstellung.
Was ist für Sie der Kerngedanke der Wissenschaftlichen Bildung - was möchten Sie vermitteln?
Marie Rahn: Museen haben einen Bildungsauftrag, sie sind Wissensspeicher, soziale Treffpunkte, Lern- und Erlebnisorte.
Beim Centrum für Naturkunde steht hinter den drei Museen ein Forschungsinstitut mit mehr als 10 Mio. Objekten in seinen nicht-öffentlichen Sammlungen, das vielfältige und bedeutende wissenschaftliche Arbeiten auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene zum Wandel der Biodiversität betreibt.
Aufgabe unserer Vermittlungsarbeit ist es dementsprechend, die Inhalte unserer Ausstellungen allgemein verständlich und auf vielseitige Art zu veranschaulichen und dabei stets auch die Forschungsprozesse und Sammlungstätigkeiten nachvollziehbar zu machen.
Wir sind die ersten Ansprechpartner unserer Besucherinnen und Besucher und suchen stets den Dialog mit ihnen. Wir möchten ihre Fragen beantworten und ihre Anregungen aufgreifen, bei ihnen darüber hinaus aber auch Neugier für weitere Themen wecken, sie begeistern und aktivieren und uns gemeinsam mit ihnen für den Erhalt der Artenvielfalt und einen nachhaltigen Umgang mit natürlichen Ressourcen stark machen.
Nicht zuletzt das Internet bietet heute zahlreiche Bilder, Filme und - je nach Anbieter - verlässliche, zum Teil aber auch leider völlig abstruse Inhalte zu Tieren und Naturphänomenen. Virtuell kann ich mir derweil sogar längst einen Tiger oder einen Eisbären ins eigene Wohnzimmer holen, die „Originale“ im Museum zu sehen „wirkt“ aber trotzdem und nach wie vor viel intensiver. Sie haben alle eine eigene Geschichte zu erzählen, lassen sich in Ruhe aus der Nähe betrachten und faszinieren z.B. durch ihre Größe, ihre Farben, ihre Form oder ihre Diversität. Manche der über 1.500 Tiere in unseren Ausstellungen sind zudem heute leider sehr selten (geworden), bereits ausgestorben oder könnten nicht in einem Zoo gehalten werden.
Gerne informieren wir unsere Besucherinnen und Besucher darüber, wie und wo unsere Mitbewohnerinnen und -bewohner lebten, warum und wie sie zu uns kamen, wie sie aufgestellt wurden und welche neuen Forschungsergebnisse es zu ihnen gibt. Beim überwiegenden Teil unserer Exponate handelt es sich tatsächlich um Präparate mit der echten Haut, dem echten Fell, den echten Federn, echten Krallen oder Hörnern.
Mit unserem Forschungsinstitut im Rücken sind wir zudem noch einmal verstärkt in der Lage, unserem Publikum tatsächlich wissenschaftlich fundierte Informationen und neueste Erkenntnisse zeitnah zu vermitteln.
Wie sieht die Museumsarbeit "hinter den Kulissen" derzeit aus?
Marie Rahn: Schönerweise bekommen wir immer wieder neues Originalmaterial, das wir speziell für unsere Workshops und Führungen mit Groß und Klein nutzen dürfen. Darüber freuen wir uns sehr, denn es ist uns besonders wichtig, auch taktile Erfahrungen möglich zu machen. Unsere Exponate in den Ausstellungen dürfen zwar nicht berührt werden, bei unseren Programmen arbeiten wir aber sehr gerne mit Hands-On-Stücken – anfassen, selbst erforschen und spannende Details entdecken, gehören hier stets dazu.
Als das Bild von mir mit den Federn vor ein paar Tagen entstand, war ich im Zoologischen Museum in unserem Aktionsraum gerade dabei, einen Teil der Federn aus unserem Fundus zu sichten. Als ich klein war, päppelten wir zuhause immer wieder Vögel auf. Seiher bin ich von ihnen fasziniert und beschäftige mich u.a. sehr gerne mit ihren Gefiedern.
Jede einzelne Feder, die mir vielleicht draußen bei einem Spaziergang ins Auge fällt, kann mir sehr viel über ihren ehemaligen Besitzer oder ihre Besitzerin und ihre eigentliche Funktion verraten, wenn ich sie mir genauer ansehe: Welche Farbe hat sie? Hat sie ein besonderes „Muster“? Wie groß ist sie? Was hat sie für eine Form? Ist es vielleicht eine Schwanzfeder? Oder stammt sie von der Brust, vom Rücken oder von einem bestimmten Teil des Flügels? Glänzt sie? Ist der Rand fein ausgefranzt oder scharf abgegrenzt?
Die Antworten auf solche Fragen helfen dabei, zu erkennen welcher Vogel sie getragen hat. Womöglich kann ich anhand ihres Zustands zudem sogar Rückschlüsse darüber ziehen, aus welchem Grund sie verloren wurde. Federn also quasi zu „lesen“ ist prinzipiell gar nicht schwer und mit ein bisschen Übung einfach zu lernen.
Auf der Abbildung … sind z.B. Federn einer Amsel aus unserer wissenschaftlichen Sammlung zu sehen. Sie stammen alle von einem Weibchen und auch, wenn es farblich nur wenig Unterschiede zu geben scheint, wird dennoch deutlich, dass die Formen der Federn je nach ihrer Position und Aufgabe sehr vielfältig sind. Ein zweiter Blick lohnt sich immer!
Hier in Hamburg gibt es allein über 160 Brutvogelarten, denen wir begegnen können - mehr als in Berlin! Sie richtig zu schützen und dadurch ihre Vielfalt zu erhalten, ist nur möglich, wenn wir sie (er-) kennen und ihre Lebensweisen und Bedürfnisse verstehen, daher liegt mir viel daran, Erkenntnisse hierzu auch unserem Publikum zu vermitteln. Aktuell stelle ich gerade entsprechendes Material zusammen, damit wir es zukünftig bei unseren Aktionen stärker nutzen können.
Was ist ein Herzensprojekt von Ihnen, was Sie sich für die nächsten Wochen/Monate vornehmen?
Marie Rahn: Ein ganz besonderer Themenkomplex, der mich sehr stark in seinen Bann zieht und auch schon lange bewegt, ist für mich unsere eigene (biokulturelle) Evolution und damit einhergehend unsere Ausbreitung aus Afrika. Hierzu gibt es zahlreiche hoch interessante aktuelle Forschungsansätze und Projekte. Ich beschäftige mich leidenschaftlich mit der Frage, wie Informationen hierzu möglichst effektiv, lebendig und partizipativ vermittelt werden können.
Nachdem ich vor längerer Zeit mit einer sehr geschätzten Kollegin in Frankfurt schon einmal didaktische Materialien zu unserer Entwicklung begleitend zu einer Sonderausstellung erstellt hatte, durfte ich vor mittlerweile fast zwei Jahren auch für die neue Auflage von Prof. Friedemann Schrenks „Die Frühzeit des Menschen“ einige Fossilien zeichnen. (s. Zeichnung)
Zudem hatte ich das Glück sogar schon mehrfach Originalfundstellen in Malawi, Tansania und Georgien besuchen zu können und stehe mit den engagierten Kolleginnen und Kollegen in den Museen dort in regem Kontakt. Mit ihnen gemeinsam arbeite ich auch schon lange an einem Projekt und letztlich auch an einer eigenen Arbeit zu neuen Möglichkeiten musealer Vermittlung und einer internationalen Verknüpfung von Museumsbesucherenden. Ziel ist es, in engem Austausch ein größeres Publikum für unsere Millionen Jahre währende Familiengeschichte zu interessieren, dieses zeitgleich aber auch zur Reflektion über unseren heutigen Umgang miteinander anzuregen. Denn so viel ist klar: Wir brauchen ein neues gemeinsames Geschichtsverständnis und tatsächliche Kooperation auf Augenhöhe, wenn wir es ernst damit meinen, Vorurteile und eurozentristische Denkweisen abzulegen und unsere Welt in Zukunft zum Nutzen aller gleichberechtigt zu gestalten.