Corona-Pandemie - Zoonosen und die Rolle der Schuppentiere
3. April 2020
Foto: UHH/ CeNak, Rahn
Eine neue, in Nature veröffentlichte Studie untersucht die Rolle, die Schuppentiere (auch Pangoline genannt) auf dem Weg des neuartigen Coronavirus von der Fledermaus zum Menschen spielen. Zoologen wissen wenig über diese Tiere, von denen es acht Arten in Afrika und Asien gibt. Sicher ist nur: Seit neuestem zählen sie zu den weltweit am meisten illegal gehandelten Säugetieren. Matthias Glaubrecht, Evolutionsbiologe und Direktor des CeNak, und Daniel Bein, Leiter Wissenschaftliche Bildung, sprechen über Schuppentiere u.a. im Zoologischen Museum Hamburg und über das problematische Verhältnis des Menschen zu Wildtieren.
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Was machen Schuppentiere im Zoologischen Museum?
Daniel Bein: Die Schuppentiere, die wir hier im Museum zeigen und z.B. auch zur Fortbildung im Artenschutz einsetzen, wurden vom Zoll beschlagnahmt. Sie sind bereits seit dem Jahr 2000 und nochmals verschärft seit 2016 durch das Washingtoner Artenschutz-Übereinkommen (WA) geschützt. Leider hat selbst das vollständige Handelsverbot wenig genutzt. Verstöße dagegen müssten noch viel rigoroser geahndet und der Wildtierhandel insgesamt stärker einschränkt werden. Inzwischen wurden Millionen von Pangolinen aus Afrika und Asien gewildert, etwa 100.000 Tiere pro Jahr! Viele werden übrigens aus Westafrika, vor allem Nigeria, direkt über Deutschland nach China geschmuggelt.
Warum sind Pangoline so begehrt?
Daniel Bein: Das Fleisch dieser Wildtiere gilt in asiatischen Ländern und auch in Afrika als Delikatesse. Außerdem werden die Hornschuppen in manchen asiatischen Medizintraditionen als Heilmittel angesehen – eine Wirkung, die sich wissenschaftlich aber nicht nachweisen lässt. Die Schuppen bestehen wie unsere Fingernägel aus Keratin.
Welche Rolle spielt das Schuppentier bei der Übertragung?
Matthias Glaubrecht: Nach allem, was wir wissen, könnten Pangoline die Zwischenwirte für das neue Coronavirus sein. Den Anfang nahm die jüngste Pandemie offenbar auf dem Huanan Seafood Market in der zentralchinesischen Millionenstadt Wuhan. Hier sprang der Erreger von einem Wildtier auf den Menschen über. Immerhin hatten von den ersten hundert Infizierten in Wuhan die Hälfte direkten Kontakt zu dem Markt, als Wildtierhändler oder Marktmanager.
Wie sieht die Forschungsgrundlage aus?
Matthias Glaubrecht: Ende März haben chinesische Virologen um Yi Guan von der Universität Hongkong sehr ähnliche Erbgutsequenzen des neuartigen Coranavirus bei Malaiischen Schuppentieren identifiziert, die nach Südchina geschmuggelt worden sind. Bei diesen Tieren fanden sich gleich zwei unabhängige Linien mit unterschiedlich starker Übereinstimmung zu Sars-CoV-2 beim Menschen. Diese lag meist zwischen 85 bis 92 Prozent. Pangoline sind damit derzeit der wahrscheinlichste Zwischenwirt.
Zuvor hatten Forscher herausgearbeitet, dass Viren bei chinesischen Fledermäusen zu 89 Prozent dem Erbgut des Erregers von Covid-19 ähneln. Daraus schließen viele Virologen, dass Fledermäuse der ursprüngliche Wirt und die eigentlichen Quelle der neuen Erreger sein könnten.
Was wissen wir über Zoonosen?
Matthias Glaubrecht: Zoonosen nennen Wissenschaftler solche Infektionskrankheiten, deren Erreger sich auf natürliche Weise vom Tier auf den Menschen übertragen, bevor sie von Mensch zu Mensch weitergegeben werden. Wir kennen davon etwa 200. Vermutlich erkranken viele Millionen Menschen im Jahr an Zoonosen, vor allem in Asien und Afrika, wo die Menschen zusammen mit Tieren auf engem Raum leben. Insgesamt sind die von Nutz- und Wildtieren übertragenen Krankheiten viel häufiger und weiter verbreitet, als wir bislang wussten. Sie verursachen etwa 60 Prozent aller Krankheiten – und immerhin zwei Drittel aller neu auftretenden Infektionskrankheiten.
Welche Rolle spielt die Globalisierung?
Matthias Glaubrecht: Immer mehr Zoonosen drohen unsere Welt zu verändern – weil wir Menschen sie massiv verändert haben. Mit der Globalisierung nach 1492 kamen viele dieser von Viren verursachten Seuchen zuerst nach Amerika. Ohne Immunisierung erlagen einst schätzungsweise 90 Prozent der dortigen Urbevölkerung den Infektionskrankheiten der Europäer. Jetzt kommen Infektionskrankheiten aus den tropischen Regionen vor allem Asiens und Afrikas auch zu uns nach Europa. So nahm etwa das Aids-Virus seinen Ausgang bei Schimpansen, die in Zentralafrika häufig gegessen werden. Ebola, Lassa und Marburg haben ihren Ursprung in afrikanischen Fledertieren – zu denen neben Fledermäusen auch Flughunde gehören. Auch die in China ausgebrochene Lungenkrankheit Sars stammt von Wildtieren.
Welche Verantwortung trägt der Mensch?
Matthias Glaubrecht: Nicht Fledermäuse sind das eigentliche Problem; sie tragen als wichtige Bestäuber und Insektenfresser zur biologischen Vielfalt und Stabilität von Ökosystemen bei. Das wahre Problem ist der Mensch – weil immer mehr von uns mit Wildtieren in Kontakt kommen und mit diesen weltweit handeln.
Gerade in den tropischen Regionen in Asien und Afrika dringen immer mehr Menschen auch in abgelegene Regionen vor. Zoonosen entstehen dort, wo zunehmend mehr Menschen die natürlichen Lebensräume immer stärker verändern; wo die Landnutzung durch Waldrodungen und Landwirtschaft, durch Straßen- und Bergbau zunimmt.
Daniel Bein: Und die gerade in China, aber auch in anderen asiatischen Ländern aufwachsende Mittelschicht will ihren neu gewonnenen Reichtum ausgerechnet dadurch demonstrieren, dass sie sich exotische Wildtiere als Delikatesse leisten kann – oder eben Heilmittel aus Pagolinen, seien sie noch so wirkungslos. Deswegen sind Wildtiermärkte in Südostasien so beliebt.
Also sind die Wildtiermärkte das Problem?
Daniel Bein: Ja, wenn wir weitere Ausbrüche solcher von Wildtieren stammenden Viren verhindern wollen, müssen sie unbedingt geschlossen und nachhaltig viel stärker kontrolliert werden.
Matthias Glaubrecht: Und nur dadurch wird sich der zunehmende, auch illegale Handel mit allen möglichen Arten von Wildtieren dauerhaft verhindern lassen. Die Märkte, aber auch die Schwarzmärkte, sind ein erhebliches Problem – in erster Linie für den Artenschutz, angefangen beim Elfenbein der Elefanten und dem Horn der Nashörner, die in Asien so begehrt sind, dass die Tiere überall unmittelbar am Rand des Aussterbens stehen.
Lassen sich so auch die Pangoline retten?
Matthias Glaubrecht: Dass sie jetzt nachweisbar eine wichtige Rolle bei der Übertragung von Wildtierkrankheiten spielen, rettet hoffentlich auch die Schuppentiere vor dem drohenden Aussterben. Als potentielle Überträger dürfen sie keinesfalls mehr auf Wildtiermärkten in den Kontakt mit vielen Menschen kommen.
Vor allem aber müssen wir erreichen, einen nachhaltigen Umgang mit der Natur gerade auch in den immer dichter besiedelten Regionen in Asien und Afrika zu entwickeln. Sonst holt uns dieser überhandnehmende Raubbau an der Natur selbst auch noch ein. Der Ausbruch der Corona-Pandemie ist ein Weckruf, dass wir die natürlichen Grundlagen unseres Planeten nicht weiterhin rücksichtlos plündern dürfen.
Hier finden Sie die wichtigsten Studien zum Interview im Original:
- Nature, 6. März 2020: Identifying SARS-CoV-2 related coronaviruses in Malayan pangolins
- Nature, 3. Februar 2020: A new coronavirus associated with human respiratory disease in China
- Nature, 3. Februar 2020: A pneumonia outbreak associated with a new coronavirus of probable bat origin
- Global Ecology and Conservation, Volume 20, October 2019, e00736: Original Research ArticleThe role of Germany in the illegal global pangolin trade
- Nextsrain: Genomic epidemiology of novel coronavirus. Showing 1893 of 1893 genomes sampled between Dec 2019 and Mar 2020.
Mehr dazu in den öffentlichen Medien:
- DIE WELT: Covid-19: Warum uns noch gefährlichere Pandemien drohen (M. Glaubrecht, 7.4.2020)
- DER TAGESSPIEGEL: Killer, Begleiter, Wegbereiter: Wie Viren die Menschheitsgeschichte prägen (M. Glaubrecht, 14.4.2020)
- DER TAGESSPIEGEL: Wenn ein Schuppentier plötzlich die ganze Welt ins Chaos stürzt (M. Glaubrecht, 23.4.2020)