Meeresriesen auf der Spur: Neue Walforschungsprojekte am CeNak
8. November 2018
Foto: Institut für terrestrische und aquatische Wildtierforschung (ITAW)
Die Wale der Antarktis bestens im Blick: Helena Herr bei der Forschungsarbeit.
Zwar sind Wale die größten Säugetiere überhaupt, aber als Meeresbewohner nicht gerade einfach zu erforschen. CeNak-Walexpertin Helena Herr möchte in unter anderem von der DFG und der Internationalen Walfangkommission geförderten Projekten wissen, wohin Wale von ihren Nahrungsgründen in der Antarktis aus hinziehen, wo sie sich paaren und ihren Nachwuchs aufziehen. Im Fokus stehen Finnwale und deren Hauptnahrung, der Krill. Auch neue Monitoringmethoden werden auf einer von Helena Herr geleiteten internationalen Forschungsfahrt erprobt.
Regelrechte Fressorgien von bis zu 70 Finnwalen - das sieht auch eine Walforscherin nicht alle Tage. Helena Herr, Wal-Expertin des Centrums für Naturkunde, hat solche Spektakel auf ihren vergangenen beiden Forschungsreisen in die Antarktis an Bord des Forschungsschiffes Polarstern beobachtet. „Das Wasser kochte und sprudelte richtig und es war beeindruckend, das so miterleben zu können“, sagt die Walforscherin. Krill sind garnelenförmige Krebstiere. Auch Vögel und Robben bedienten sich am Festmahl der Wale.
Weniger Meereis könnte sich auf Wale auswirken
Wie genau verhalten sich das Vorkommen von Krill und die Verteilungsmuster der Wale zueinander? Gemeinsam mit Bettina Meyer vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, und Sacha Viquerat von der Tierärztlichen Hochschule Hannover wertet Helena Herr nun die bei der vergangenen Expedition gesammelten Daten aus. Das Projekt wird vom Antarctic Wildlife Research Fund mit rund 45.000 Euro gefördert. Im Fokus stehen die Bestände der Bartenwale im Gebiet der antarktischen Halbinsel. „Der Klimawandel könnte sich auf die Tiere auswirken, denn abnehmendes Meereis führt zu potentiell weniger Krill“, erklärt Helena Herr.
Expeditionsfahrt in die Antarktis
„Auf welchen Routen Finnwale in die Antarktis und das Südpolarmeer schwimmen und wohin sie sich nach dem antarktischen Sommer zurückziehen, wo ihre Paarungs- und Aufzuchtgebiete sind, liegt noch weitgehend im Dunkeln“, sagt die Walexpertin. Die Forscherinnen und Forscher möchten zudem wissen, wie viele Finnwale es heute wieder gibt und wie sie sich im Südozean verteilenHelena Herr befasst sich damit in einem neuen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 291.000 Euro geförderten Projekt am CeNak. Dazu werden etwa die per Satellitensender aufgezeichneten Bewegungsmuster von Walen ausgewertet und Bestandszahlen mittels Helikoptersurveys (Erfassung der Wale aus der Luft) ermittelt Im kommenden Jahr wird ein Forschungsteam von Helena Herr wieder zahlreiche Daten auf einer Expeditionssfahrt des Forschungsschiffes Polarstern in der Antarktis sammeln und Wale sichten. Das DFG-Projekt am CeNak ist auf insgesamt drei Jahre angelegt.
Gesichtserkennung für Wale
Voraussichtlich im Jahr 2020 wird Helena Herr mit einem internationalen Wissenschaftsteam eine große Expeditionsfahrt an Bord des Forschungsschiffes Maria S. Merian unternehmen. Als Fahrtleiterin möchte Helena Herr die Verteilung von Finnwalen und Krill parallel untersuchen. Dazu wird ein vorab festgelegten Zick-Zack-Kurs gefahren. „Damit können wir das Untersuchungsgebiet optimal abdecken“, erklärt die Forscherin. Entlang des Kurses werden Walsichtungen aufgezeichnet und regelmäßig Krillnetze angefahren.
Für populationsgenetische Untersuchungen und Schadstoffanalysen werden die Forscher Gewebeproben der Wale nehmen. Dazu nutzen sie eine spezielle Armbrust, mit der die Biopsien vom Schiff oder von Beibooten aus entnommen werden. Außerdem erhalten die Finnwale Satellitensender, um die Wanderrouten der Tiere nachvollziehen zu können. Noch wenig erprobt für Finnwale ist die Methode der Fotoidentifikation, die auf der Expedition genutzt werden soll. Die Tiere werden dabei fotografiert, nach Möglichkeit individuell identifiziert und die Aufnahmen mit anderen Finnwalaufnahmen verglichen: Gesichtserkennung für Wale sozusagen. Damit hoffen die Walexpertinnen und -experten, die Verbreitungswege einzelner Tiere über längere Zeiträume nachvollziehen zu können.
Drohnen für die Walbeobachtung
Das erste, was die Forscherinnen und Forscher bei ihren Expeditionen meistens von den Walen sehen, ist das Ausatmen der Tiere. Der sogenannte Blas ist gerade in der kalten Antarktisluft gut erkennbar. Wie genau die Tiere auftauchen, die Farbgebung und wie sich der Rücken an der Oberfläche zeigt, gibt Aufschluss über die jeweilige Walart. Gerade aus der Luft haben Forscherinnen und Forscher einen guten Blick auf die Tiere. Zur Verhaltungsbeobachtung und Videoaufnahmen der Wale werden zunehmend auch unbemannte Drohnen eingesetzt. Die Geräte sind flexibler und kostengünstiger als Helikopter. Sie könnten die Walforschung vereinfachen und intensivieren, erhofft sich auch Helena Herr.
Das von der CeNak-Forscherin geleitete Wissenschaftsteam will mit den fliegenden Kameras von Bord der Maria S. Merian aus Verhaltensmuster der Wale untersuchen. Da die Drohnen enorm viele digitale Aufnahmen liefern, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch Methoden für die automatisierte Verarbeitung entwickeln und herausfinden, ob und wie sich die Drohnendaten für Populationsschätzungen eignen. Zudem sollen Einsatzmöglichkeiten für Flüge über weite Distanzen für die Walbeobachtung entwickelt werden. Das Drohnenprojekt wird von der Internationalen Walfangkommission mit knapp 35.000 Euro gefördert und von der Australian Antarctic Division betreut.
Haben sich die Bestände seit dem Walfang-Moratorium erholt?
CeNak-Forscherin Helena Herr ist seit 2012 als unabhängige Expertin Mitglied des Wissenschaftsausschusses der Internationalen Walfangkommission. Als Teil dieses Beratungsgremiums ist sie Jahr für Jahr an der Erarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen für die politischen Entscheidungen der Internationalen Walfangkommission beteiligt. Derzeit gilt eine ihrer Hauptinteressen dem Erholungszustand der Finnwalbestände in der Südhemisphäre. Mittlerweile fördert die IWC mit rund 93.000 Euro ein in die Southern Ocean Research Partnership eingebundenes Projekt der CeNak-Forscherin.
Ein internationales Forschungsteam wertet in dem Projekt die über die vergangenen 20 Jahre erhobenen Datensätze zu Finnwalvorkommen im Gebiet der antarktischen Halbinsel aus, um Rückschlüsse auf den Populationsstatus und dessen Erholung seit der Beendigung des kommerziellen Walfangs ziehen zu können. Seit 1986 gilt ein Moratorium der IWC, das den kommerziellen Walfang untersagt. „Davor wurden Finnwale so intensiv bejagt, dass ihre Bestände in der südlichen Hemisphäre auf unter zwei Prozent der ursprünglichen Größe geschrumpft waren“, sagt Helena Herr. Das Projekt soll auch ein internationales Netzwerk zur Finnwalforschung in der Antarktis schaffen.
Weitere Informationen
Forschungsabteilung Mammalogie am CeNak
Internationale Walfangkommission IWC: https://iwc.int/home
Deutsche Forschungsgemeinschaft: www.dfg.de
Antarctic Wildlife Research Fund: http://www.antarcticfund.org
Southern Ocean Research Partnership: https://iwc.int/sorp