Wie Forschungssammlungen die Verbreitung von Arten zeigen
9. Oktober 2018
Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland nutzen die umfassende ichthyologische Sammlung des CeNak für ihre Forschung.
Geeignete Monitoringdaten zur Ermittlung von Verbreitungsgebieten von Arten sind in ausreichender Qualität oft erst seit einigen Jahrzehnten verfügbar. Mit diesen Daten lassen sich in der Regel zwar aktuelle Verbreitungsgebiete von Arten darstellen, jedoch ermöglichen sie meist nicht die Abbildung historischer Verbreitungszustände (z.B. zur Mitte des 19. Jahrhunderts).
Die Kenntnis der historischen Verbreitung ist aber im Rahmen von naturschutzfachlichen Betrachtungen, z.B. bei Gefährdungsanalysen von Arten im Rahmen der Erstellung von Roten Listen, ebenso erforderlich, wie die Darstellung der aktuellen Verbreitung.
Beispielsweise sind sammlungsbasierte Funddaten neben Vorkommensangaben aus der älteren Literatur geeignete Möglichkeiten, historische Verbreitungsgebiete von Fischarten im Nord-Ostsee-Raum zu rekonstruieren (z.B. Thiel et al. 2013, Thiel & Thiel 2015, Zidowitz et al. 2017).
Bis in das 17. Jahrhundert zurückreichende Funddaten
In einem durch das Bundesamt für Naturschutz geförderten Projekt werteten Zidowitz et al. (2017) neben seit den 1960er Jahren verfügbaren Fangdaten aus Forschungssurveys des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) auch bis in das 17. Jahrhundert zurückreichende Funddaten von Objekten in 18 musealen Forschungssammlungen im Nord-Ostsee-Raum aus, um die Verbreitungsgebiete von Knorpelfischen (Haie, Rochen, Chimären) in Nord- und Ostsee zu analysieren.
Heute in deutschen Gewässern ausgestorbener Stechrochen vor Helgoland nachweisbar
Beispielsweise konnte bei dieser Studie nur durch die Analyse von Sammlungsdaten eine ehemalige Verbreitung des Gewöhnlichen Stechrochens Dasyatis pastinaca (Linnaeus, 1758) auch im deutschen Meeresgebiet der Nordsee belegt werden, wonach die Art ehemals vor allem bei Helgoland nachweisbar war. Der letzte Fund des Gewöhnlichen Stechrochens in den deutschen Meeresgebieten der Nordsee im Jahr 1980, der sich unter der Katalognummer „ZMH 120084“ in der Fischsammlung des Centrums für Naturkunde befindet, stammt aus dem Wattenmeer bei Borkum. Heute ist die Art in deutschen Meeresgebieten ausgestorben.
Abbildung 1: Nachweise von Glattrochen (Dipturus batis) in Nord- und Ostsee basierend auf Sammlungsdaten (1824-1967; rote Punkte) und Survey-Daten (1968-2013; graue Punkte) nach Zidowitz et al. (2017).
Auch der Glattrochen Dipturus batis (Linnaeus, 1758) ist eine heute in deutschen Meeresgebieten ausgestorbene Rochenart. Aus den Daten der Forschungssurveys des ICES kann man eine Verbreitung der Art in der südöstlichen Nordsee nicht ableiten. Erst durch die Auswertung von Sammlungsdaten lässt sich die ehemalige Verbreitung der Art auch in den deutschen Meeresgebieten von Nord- und Ostsee belegen (siehe Abbildung 1).
Herausragende Fischsammlung des CeNak
Bei den Auswertungen von Sammlungsdaten von Zidowitz et al. (2017) zeigte sich im nationalen Vergleich eine herausragende Bedeutung der Fischsammlung des CeNak in Bezug auf die erhaltenen Knorpelfischnachweise (siehe Tabelle 1). Im europäischen Vergleich ist die Anzahl der erzielten Knorpelfischnachweise aus der Fischsammlung des CeNak etwa auf dem Niveau der Nachweise von BMNH und NHM.
Tabelle 1: Nachweise relevanter Knorpelfischarten basierend auf der Analyse musealer Sammlungen.
Aufgrund der im Prozess der Digitalisierung von Sammlungsdaten zunehmenden Verfügbarkeit von Sammlungsdaten einer wachsenden Anzahl von Forschungssammlungen ist zu erwarten, dass zukünftig bei der modellgestützten Vorhersage von Verbreitungsgebieten von Arten auch zunehmend Sammlungsdaten mit herangezogen werden können. Im Rahmen seines Forschungsschwerpunktes „Dynamik von Ökosystemen“ wendet das Centrum für Naturkunde verschiedene Verfahren der mathematischen Habitatmodellierung an, um z.B. die Habitatnutzung von Fischarten zu parametrisieren und Verbreitungsgebiete von Fischarten und deren mögliche Veränderungen (z.B. durch anthropogene Einflüsse) vorherzusagen (z.B. Kleinwächter & Thiel 2012, Weigmann & Thiel 2013, Thiel et al. 2017, Zidowitz et al. 2017).
Hierfür werden auch auf „presence-only“-Daten basierende Modellierungsverfahren getestet (siehe Abbildung 2), die zukünftig bei der Vorhersage von Verbreitungsgebieten von Fischarten unter Heranziehung von Sammlungsdaten vorzugsweise zur Anwendung kommen könnten. Die Eignung von Sammlungsdaten für die modellbasierte Vorhersage von Verbreitungsgebieten wurde inzwischen z.B. für Insekten (z.B. Ferro & Flick 2015) und Säugetiere (z.B. Reutter et al. 2003) untersucht und belegt.
Abbildung 2: Prognose des Verbreitungsgebietes (Vorkommenwahrscheinlichkeit) einer Stechrochenart (Neotrygon kuhlii) auf dem nordaustralischen Schelf mit einem mathematischen Habitatmodell basierend auf „presence-only“-Daten nach Weigmann & Thiel (2013).
Mehr zur Ichthyologischen Sammlung
Quellenangaben
Ferro, M.L. & Flick, A.J. (2015): “Collection bias” and the importance of Natural History Collections in species habitat modeling: A case study using Thoracophorus costalis Erichson (Coleoptera: Staphylinidae: Osoriinae), with a critique of GBIF.org. The Coleopterists Bulletin 69 (3): 415-425.
Kleinwächter, M. &Thiel, R. (2012): Modelle für Zielarten zur Maßnahmenbewertung im Ufermangement der Mittleren Elbe. In: Bundesanstalt für Gewässerkunde (Hrsg.) Hydro-ökologische Modellierungen und ihre Anwendungen. Veranstaltungen 6/2012: 85-96.
Reutter, B. A., Helfer, V., Hirzel, A.H. & Vogel, P. Ferro, M.L. & Flick, A.J. (2003): Modelling habitat-suitability using museum collections: an example with three sympatric Apodemus species from the Alps. Journal of Biogeography 30: 581-590.
Thiel, R. & Thiel, R. (2015): Atlas der Fische und Neunaugen Hamburgs. Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: 170 S.
Thiel, R., Thiel,R., Eick, D., Heinrichs,J., Lill, D., Oesmann, S.& Weigelt, R. (2017). 5.5 Fische. In: Kleinwächter, M., Schröder, U., Rödiger, S., Hentschel, B. & Anlauf, A. (Hrsg.). Alternative Buhnenformen in der Elbe – hydraulische und ökologische Wirkungen. Konzepte für die nachhaltige Entwicklung einer Flusslandschaft, Band 11. Schweizerbart´sche Verlagsbuchhandlung (Nägele u. Obermiller), Stuttgart: 165-196.
Thiel, R., Winkler, H.M., Böttcher, U., Dänhardt, A., Fricke, R., George, M., Kloppmann, M., Schaarschmidt, T., Ubl, C., Vorberg, R. (2013): Rote Liste und Gesamtartenliste der etablierten Fische und Neunaugen (Elasmobranchii, Actinopterygii & Petromyzontida) der marinen Gewässer Deutschlands. In: Becker, N.; Haupt, H.; Hofbauer, N.; Ludwig, G. & Nehring, S. (Red.): Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 2: Meeresorganismen. – Münster (Landwirtschaftsverlag). – Naturschutz und Biologische Vielfalt 70 (2): 11-76.
Weigmann, S. & Thiel, R. (2013): Predicting the spatial distribution of blue-spotted maskray Neotrygon kuhlii (Myliobatiformes, Dasyatidae) on the Australian North and Northwest Shelf comparing two different methods of habitat modeling. Journal of Ichthyology 53 (8): 628-640.
Zidowitz, H., Kaschner, C., Magath, V., Thiel, R., Weigmann, S. & Thiel, R. (2017): Gefährdung und Schutz der Haie und Rochen in den deutschen Meeresgebieten der Nord- und Ostsee. BfN-Skripten 450: 224 S.