Dinosaurierforscher Tschopp: Detektiv auf Zeitreise
7. Oktober 2020
Foto: Urs Möckli
Bevor man anfängt zu Graben, sucht man Knochenstücke an der Oberfläche. Hier hat Emanuel Tschopp in Madagaskar im 2016 zwei Stücke eines Beinknochens von einem Sauropoden gefunden. Das traditionelle Abbrennen der Grasflächen für die Agrikultur im ruralen Madagaskar vereinfacht die Suche.
Emanuel Tschopps Karriere vom Dinofan zum Dinoforscher verlief wie im Bilderbuch. Eine Lehrerin hatte das Interesse des Drittklässlers an der Erforschung der Urzeittiere entfacht. Die Ausstellung im heimatnahen Sauriermuseum Aathal (Schweiz) ließ dann den Wunsch in ihm reifen, als Forscher selbst in den USA nach Fossilien zu graben. Dieses Erlebnis liegt nun schon länger hinter ihm, genau wie die Promotion zu Langhalssauriern in Portugal. Im Mai hat der 38-jährige Schweizer im Auftrag des Centrums für Naturkunde (CeNak) und der Stiftung Hagenbeck seine Forschungen an den vier „Hamburger Dinosauriern“ begonnen. Eine Zeitreise in das Amerika vor 150 Millionen Jahren.
Anfang des Jahres hatte die Stiftung Hagenbeck die Fossilien von vier Sauropoden der Gruppe Flagellicaudata, zu der auch berühmte Gattungen wie Brontosaurus und Diplodocus gehören, für Hamburg und die Wissenschaft gesichert. Das größte Exemplar der vier „Hamburger Dinosaurier“ misst 15 Meter, das kleinste, das „Baby“ der Gruppe, ist gut viereinhalb Meter lang.
Der Umstand, dass weitgehend erhaltene Skelette vierer Tiere unterschiedlichen Alters am selben Fundort in Wyoming entdeckt wurden, macht die Gruppe für die Forschung besonders interessant. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass Sauropoden in Herden mit gleichaltrigen Tieren lebten. Die Analyse der Hamburger Fossilien könnte das Gegenteil belegen.
Ein außergewöhnlicher Fund
Einmalig ist auch die Entdeckung des offenbar sehr jungen Langhalssauriers. Es könnte der vollständigste Fund seiner Altersklasse sein. Weltweit gibt es nur einzelne Stellen, an denen ausgewachsene Tiere zusammen mit Jungtieren gefunden wurden.
Emanuel Tschopp hat die Aufgabe übernommen, die Langhalssaurier unter bestimmten Fragestellungen zu untersuchen: Gehören alle zur selben Art? Sind die Knochen vier Individuen zuzuordnen? Warum wurden sie am selben Ort gefunden? Wie und in welchem Lebensraum haben diese Pflanzenfresser gelebt? Die Antworten helfen zu verstehen, wie sich typische Merkmale einer Art entwickelt haben und wie Sauropoden sich ihren Platz als Giganten der Evolutionsgeschichte sichern konnten.
Langhalssaurier gelten als die größten auf dem Land lebenden Tiere der Erdgeschichte. Vor 66 Millionen Jahren starben sie wie alle nicht flugfähigen Dinosaurier aus. Ihre Fossilien sind auf allen Kontinenten zu finden, in Nordamerika konzentriert in der Morrison Formation. Hier wurde auch die Hamburger Gruppe in einer kargen Gegend im hochgelegenen Wyoming entdeckt, wo die Ausgrabungen vor elf Jahren begannen.
Die Coronapandemie hielt Emanuel Tschopp länger in New York fest, als er wollte. Nach seiner Zeit als Postdoktorand am American Museum of Natural History in New York begann der Paläontologe im Mai bereits in den Staaten, die digitalen Daten zu den vier Langhalssauriern zu analysieren. Erst seit September arbeitet er am CeNak in Hamburg, um auch die Originalfossilien zu beforschen.
Diverse Analyse-Methoden liefern Hinweise auf Art und Alter
Erste Schlüsse zog er bereits nach virtuellen, osteologischen Studien, also dem Vergleich von Form, Masse und Merkmalen einzelner Knochen mit denen anderer Arten: „Ich kann jetzt schon sagen, dass alle Knochen von Sauropoden stammen und es bislang keinen Hinweis auf mehr als einen Fundort gibt. Die Analyse der bisher digitalisierten Fossilien ergab außerdem, dass die Skelette weitgehend erhalten sind, was sehr ungewöhnlich ist. Für eine genauere Bestandsaufnahme müssen jedoch alle Knochen mit einem CT Scanner durchleuchtet werden.“ Grabungspläne können weitere Hinweise auf das Leben der Gruppe liefern.
Um zu diesen ersten Erkenntnissen zu kommen, hat Tschopp eine Liste von über hundert Merkmalen hinzugezogen, die in jedem einzelnen Skelett identifiziert werden müssen. Ein Computerprogramm gleicht die Daten ab und führt eine phylogenetische Analyse durch. Diese liefert Stammbäume und Informationen dazu, welches Skelett zu welcher Art gehört. „Bei der Hamburger Dinosaurier-Gruppe sind die Wirbel auf eine bestimmte Art verwachsen, allerdings in unterschiedlichen Stadien. Daran ist zu erkennen, dass es sich bei den Tieren um Exemplare unterschiedlicher Altersstufen handelt.“
Hinweise auf das individuelle Alter liefert außerdem die Struktur der Knochen. Unter dem Mikroskop lassen sich bei Sauriern Wachstumsmarken erkennen, die wie Jahresringe an Bäumen das Alter der Tiere skalieren. Wie Puzzlestücke lassen sich anhand der Struktur auch einzelne Knochen einem bestimmten Individuum zuordnen.
Auch die Untersuchung der Zähne und die Anzahl der angelegten Zahngenerationen lassen Rückschlüsse auf das Alter zu. Sauropoden wechselten alle zwei Monate die Zähne. Mit zunehmendem Alter erfolgte der Zahnwechsel jedoch in kürzerer Abfolge. „Das wiederum könnte ein Hinweis auf die härtere Nahrung der erwachsenen Tiere sein“, so Tschopp.
Möglichkeiten und Grenzen der Forschung
Trotz diverser Methoden und technischer Errungenschaften bleibt es selbst für Spezialisten eine Herausforderung, das Geschlecht von Sauropoden zu bestimmen. Größe und Knochenbau bieten eher Anhaltspunkte für die Art als für das Geschlecht. Da sich die DNA „nur“ wenige Millionen Jahre zurückverfolgen lässt, fällt die genetische Analyse für diese 150 Millionen Jahre alten Dinosaurier als Methode weg. „Wir stoßen an diesem Punkt an unsere Grenzen“, beschreibt der Schweizer seine Forschungen. „Einzelne Hinweise können weiterhelfen, so z.B. das Vorkommen von Calcium, das Vögel – die engsten heute lebenden Verwandten der Saurier – vor der Eiablage in einer speziellen Knochensubstanz ablagern. Wird dieser Knochentyp bei Sauriern nachgewiesen, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um ein weibliches Tier handelt.“
„Manchmal komme ich mir wie ein Detektiv vor“, beschreibt der Paläontologe die Erforschung der Evolution und Diversität der Langhalssaurier aus der Jurazeit in Nordamerika. „Wir wissen erst sehr wenig. Doch mit fortschreitender Technik und neuen Untersuchungsmethoden werden wir immer mehr Antworten bekommen.“
Weitere Informationen:
Kontakt
Dr. Emanuel Tschopp
Centrum für Naturkunde
Abt. Biodiversität der Tiere
Dinosaurierforschung
Martin-Luther-King-Platz 3
20146 Hamburg
E-Mail: Emanuel.Tschopp"AT"uni-hamburg.de