Studie zum Mundwerkzeug von Schnecken: Stark wie Industriemaschinen
25. Juli 2019
Foto: Julia Siekmann, CAU
Professor Stanislav Gorb, Taissa Faust, Dr. Alexander Kovalev und Wencke Krings beim Versuchsaufbau im Labor.
Die Zähne der Raspelzunge von Schnecken wirken punktuell mit einem Druck von 4.700 bar auf die Nahrung ein – mit solchem hohen Druck wird in der Industrie Metall bearbeitet. Ein Forschungsteam um CeNak-Doktorandin Wencke Krings und des Zoologischen Instituts der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat die einwirkenden Kräfte erstmals detailliert aufgezeichnet.
Innerhalb der Schnecken, die zu den Weichtieren (Mollusca) gehören, sind mehr als 80.000 Arten bekannt. Die Tiere besiedeln nahezu alle Lebensräume von der Tiefsee über Wüsten bis zum Hochgebirge. „Schnecken sind unter anderem so weit verbreitet, weil sich viele Arten auf höchst unterschiedliche Nahrungsquellen spezialisiert haben“, erklärt CeNak-Jungforscherin Wencke Krings. Eine Schlüsselrolle spielt dabei die Radula, ein Chitinband, das mit Tausenden winzigen Zähnchen in Längs- und Querreihen besetzt ist und mit dem Nahrung zerkleinert und verarbeitet wird.
Essen mit einem Schaufelradbagger
Für die Studie setzten Wencke Krings, Taissa Faust, Marco T. Neiber und Matthias Glaubrecht vom Centrum für Naturkunde sowie Alexander Kovalev und Stanislav Gorb von der Universität Kiel auf den Appetit der Gefleckten Weinbergschnecke Cornu aspersum. Beim Fressen schiebt die Weinbergschnecke die Radula zuerst nach vorne aus dem Mund. Mit den kleinen Radula-Zähnchen wird die Nahrung sowohl vom Untergrund gerieben als auch – wie bei einem Schaufelradbagger – in den Schlund geschaufelt. Des Weiteren drückt die Radula die Nahrung gegen den Kiefer, eine relativ starre Struktur im Mund der Schnecke. So kann sie etwa ein Salatblatt oder eine Möhre zerreißen.
"Wenn die Schnecke frisst, spannt sie die Radula wie ein Band, sodass die Zähne etwas abstehen und zum Kratzen genutzt werden können. Wir haben die Zähnchen gezählt, die sich auf der Radula befinden und konnten durch Videoaufnahmen sehen, dass nur etwa 15 Prozent der Zunge überhaupt beim Aufkratzen der Nahrung zum Einsatz kommen. Das entspricht knapp 3300 der insgesamt rund 22.000 Zähne", erläutert Wencke Krings im Newsroom-Interview der Universität Hamburg.
Sensormessungen und Kameraaufzeichnungen
Bei den Versuchen im Kieler Labor wurde eine Futterpaste aus Mehl und Karottensaft auf einer durchsichtigen Acrylplatte aufgetragen. Ein Kraftsensor – platziert in einem winzigen Loch in der Plattform, bestrichen mit der Paste – lieferte dem Team Daten über die durch die Reibezunge entstandenen Kräfte während der Nahrungsaufnahme. Eine Kamera zeichnete zusätzlich von unten die Bewegungen der Radula auf. Die stärksten Kräfte wurden beim Reibevorgang selbst gemessen, die zweithöchsten beim Zupfen mit Radula und Kiefer.
Über die detailreichen Videosequenzen konnten die Forscherinnen und Forscher die Kontaktfläche der Zähne mit dem Futter berechnen. Berücksichtigt wurden zudem Größe und Gewicht der jeweiligen Schnecke sowie schon vorhandene Analysedaten. „Die Zahnhärte und -elastizität sind bei der untersuchten Schneckenart mit Holz vergleichbar – also relativ weich“, erläutert Wencke Krings. Es gibt andere Arten mit deutlich härteren Zähnen, aber selbst Cornu aspersum mit dem relativ weichen Zahnmaterial kann durch intensives Reiben Nahrung schneiden und durchstoßen.
Erkenntnisse für die Evolutionsforschung
Die Forscherinnen und Forscher wollen ihre Versuchsreihe zukünftig auf andere Schneckenarten ausweiten. Sie erhoffen sich nicht nur Erkenntnisse für die angewandte Bionik, sondern auch für die Evolutionsforschung. „Wir gehen davon aus, dass wir so neue Einblicke erhalten können, wie sich Tiere spezialisieren. Außerdem wollen wir ergründen, wie durch Anpassungen an spezifische Nahrung Lebensräume besiedelt werden konnten“, sagt Wencke Krings.
Weitere Informationen:
Video "Forschung zur Raspelzunge von Landschnecken" (YouTube)
Interview mit Wencke Krings im Newsroom der Universität Hamburg
Krings W, Faust T, Kovalev A, Neiber MT, Glaubrecht M, Gorb S. 2019 In slow motion: radula motion pattern and forces exerted to the substrate in the land snail Cornu aspersum (Mollusca, Gastropoda) during feeding. R. Soc. Open Sci. 6: 190222. http://dx.doi.org/10.1098/rsos.190222
Für Rückfragen:
Wencke Krings
Universität Hamburg
Centrum für Naturkunde (CeNak)
Tel.: +49 40 42838-8126
E-Mail: wencke.krings"AT"uni-hamburg.de
Prof. Dr. Stanislav N. Gorb
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Zoologisches Institut
Tel.: +49 431 880-4513
E-Mail: sgorb"AT"zoologie.uni-kiel.de