Das Geheimnis der Schnecke, die keine Schnecke ist
1. November 2018
Foto: UHH/CeNak, Wiggering
Das schneckenhausartige Aussehen ihres Köchers unterscheidet die Fliege von ihren Verwandten deutlich.
Klein, grau, unscheinbar – aber ein leuchtendes Beispiel für die wundersame Funktionsweise der Evolution. Unser Schatz des Monats November ist das Jungtier der Köcherfliege Helicopsyche helicifex. Einige Exemplare dieser Art befinden sich in der malakologischen Sammlung des CeNak und wurden für die Forschung herangezogen.
Das schneckenhausartige Aussehen ihres Köchers unterscheidet die Helicopsyche helicifex von ihren sonst mit länglichen Köchern und Hinterleibern ausgestatteten Verwandten und sichert ihr einen entscheidenden Evolutionsvorteil. Diese Form der Anpassung an andere Organismen, die hier vermutlich vorliegt, wird in der Fachsprache als Mimikry bezeichnet und wurde in diesem Fall erstmals im Detail von Forschern des CeNak beschrieben.
Evolutionsgeschichte der Art erstmals umfassend beleuchtet
Dass es sich bei der Gehäuseform der Köcherfliegenlarven der Helicopsychiden möglicherweise um eine Form von Mimikry handelt, wurde bisher nie eingehend erörtert. Exemplare dieser Köcherfliegenfamilie wurden oftmals fälschlicherweise von Forschern als neue Schneckenarten beschrieben. Benedikt Wiggering und Matthias Glaubrecht haben nun erstmals die mögliche Evolutionsgeschichte dieser kleinen Anpassungskünstler eingehend diskutiert. Das von Ihnen entwickelte, evolutionsbiologische Szenario kann nun eingehend getestet werden.
Die meisten Köcherfliegenlarven bauen ihren Köcher als zylinderförmige Röhre um ihren weichen Körper herum. Nicht aber die in Portugal lebende Helicopsyche helicifex. Zwar benutzt auch sie Materialien ihrer Umgebung für den Bau ihres Köchers, doch ist dieser wie ein Schneckenhaus gewunden. Damit sieht sie einigen Wasserschnecken, beispielsweise Arten der Federkiemenschnecken (Valvata), zum Verwechseln ähnlich. Diese sind bei Vögeln, die auch Fressfeinde der Köcherfliegenlarven sind, eher weniger beliebt und stehen nur in mageren Zeiten auf der Speisekarte.
Gute Tarnung, stärkere Vermehrung
Der Köcherfliegenlarve bietet dieses Gehäuse doppelten Schutz. Zum einen ist sie durch die Materialien ihres Köchers gut getarnt und hebt sich kaum von ihrer Umgebung ab. Zum anderen wird sie durch Anpassung an das Aussehen der Wasserschnecken weniger oft von Fressfeinden erbeutet. Diese Art von Mimikry wird genauer als Batessche Mimikry bezeichnet und beschreibt die Nachahmung eines wehrhaften oder ungenießbaren Organismus durch einen genießbaren und ungiftigen.
Eine solche Anpassung entsteht durch natürliche Selektion und über lange Zeit hinweg. Im Falle der Helicopsyche helicifex erklären Benedikt Wiggering und Matthias Glaubrecht, beide Forscher am Centrum für Naturkunde, erstmals die Entstehung des Gehäuses durch eine zweistufige Evolution: „Durch Mutation könnte sich bei den Vorfahren der heute lebenden Helicopsyche ein gewundenes Gehäuse durchgesetzt haben, da dieses höhere Stabilität in schnell fließenden Gewässern und beim Eingraben in den Gewässeruntergrund bietet.“ Nachdem so die ersten gewundenen Köcher entstanden, so die These von Benedikt Wiggering, wurden solche Individuen, die Schnecken ähnlich sahen, weniger oft von Feinden erbeutet. „So konnten sie sich vermutlich stärker vermehren. Das hatte zur Folge, dass sich dieses Erscheinungsbild bei den Nachfahren durchsetzen konnte.“
Forschungsabteilung Malakologie
Forschungsabteilung Biodiversität der Tiere
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