Mikroskopische Würmer mit direkter Entwicklung zeigen eine großräumige Verbreitung im Nordatlantik
24. Januar 2020
Foto: Katrine Worsaae, Alexandra Kerbl, Aki Vang & Brett C. Gonzalez
Das Verbreitungsareal der Art Dinophilus vorticoides im Nordatlantik.
Fortschritte in der Genetik, unter anderem von DNA-Barcoding und Populationsgenetik, zeigten in den letzten Jahren immer öfter die hohe und unvorhergesehene Diversität mikroskopischer Bodenlebewesen der Meere auf: Viele dieser kryptischen Tierarten sind morphologisch identisch bzw. sehr ähnlich, was zum Teil auch daran liegt, dass als Anpassung an den Lebensraum zwischen Sedimentkörnern viele externe Merkmale reduziert sind.
Die Vielzahl der kryptischen Arten bzw. Artkomplexe führte zu einem Paradigmenwechsel – bis jetzt galt nämlich die „Everything is everywhere, but the environment selects“-These (in etwa „Alles ist überall, aber die Umwelt wählt aus“), die das Vorhandensein aller (mikroskopischen, marinen) Arten überall im Meer proklamierte. Mit Hilfe phylogenetischer und Artabgrenzungs-Analysen von weltweit gesammelten Vertretern der Familie Dinophilidae konnten wir (das Projekt wurde von Katrine Worsaae und Brett C Gonzalez geleitet) innerhalb dieser Familie drei monophyletische Gattungen (Dinophilus, Trilobodrilus und Dimorphilus) definieren.
Das „Meiofauna-Paradoxon“
Gleichzeitig fanden wir heraus, dass es sich bei Tieren aus Westgrönland, Spitzbergen, Schweden, den Farör Inseln und dem Weißen Meer in Russland um eine Art handelt. Dies ist besonders erstaunlich, da diese Art scheinbar über keine Möglichkeit zu solch großräumiger Verbreitung verfügt. Die erwachsenen Tiere leben endobenthisch (im Sediment), bewegen sich nicht so schnell und weit fort und haben keine pelagischen (freischwimmenden) Larven. Die gefundene Verbreitung stellt daher ein „Meiofauna-Paradoxon“ dar. Jedoch leben die Tiere im Biofilm, der sich zwischen Sandkörnern, aber auch auf Makroalgen oder sogar Eis bilden kann, und können vermutlich „rafting“ („Verdriftung“) über große Distanzen auch dank ihres Lebenszyklus überstehen: Die Eier der Tiere befinden sich in gallertartigen Kokons, die am Untergrund bzw. an Oberflächen festkleben und zusätzlichen Schutz gewährleisten.
Ruhestadien als signifikanter Faktor für Verbreitung?
Jungtiere „encystieren“, schließen sich also in dicke Hüllen ein und lösen ihre Gewebe zum Teil auf, bevor sie nach etwa acht Monaten als erwachsene, geschlechtsreife Tiere wieder ex-cystieren. Diese Ruhestadien – obwohl bisher bei marinen mikroskopischen Tieren wenig beachtet – könnten ein signifikanter Faktor für die weite Verbreitung dieser Arten sein und halten damit unter Umständen auch den Schlüssel zum Verständnis des „Meiofauna Paradoxons“.
Abbildung: Das Verbreitungsareal der Art Dinophilus vorticoides im Nordatlantik, das Ergebnis der Artabgrenzungs-Analysen und der spezielle Lebenszyklus der Tiere.
Kontakt
Dr. Alexandra Kerbl
Leitung, Abt. Annelida
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Katrine Worsaae, Alexandra Kerbl, Aki Vang & Brett C. Gonzalez (2019): Broad North Atlantic distribution of a meiobenthos annelid – against all odds. Scientific Reports 9: 15497. https://doi.org/10.1038/s41598-019-51765-x