Eröffnung der Sonderausstellung
Vom 10. November 2017 bis 29. März 2018 zeigt das Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg im Zoologischen Museum die Sonderausstellung "Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald". Für diesen Zeitraum verwandeln audiovisuelle Installationen, Fotografien, Filme und Skulpturen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler die Ausstellungshalle in den bedrohten Lebensraum Wald.
Das außergewöhnliche Ausstellungsprojekt zieht Verbindungen von den Expeditionen des Naturforschers Alfred Russel Wallace im 19. Jahrhundert zur aktuellen Zerstörung der Regenwälder in Südostasien und Südamerika. Die in der Ausstellung präsentierten künstlerischen Positionen und kuratorischen Assemblagen widersprechen einem romantischen Bild unberührter Natur und fragen stattdessen nach den Vermächtnissen, die bleiben, angesichts der fortschreitenden Zerstörung hochkomplexer Ökosysteme. Neben bildender Kunst werden auch Exponate aus den wissenschaftlichen Sammlungen des CeNak sowie des Herbarium Hamburgense zu sehen sein. Acht der 13 künstlerischen Positionen wurden eigens für die Sonderausstellung geschaffen, andere fanden bereits weltweit Würdigung in renommierten Museen, Galerien und Biennalen.
Folgende Künstlerinnen und Künstler sind in der Ausstellung vertreten:
Maria Thereza Alves, Ursula Biemann, Bik Van der Pol, Shannon Lee Castleman, Revital Cohen & Tuur van Balen, Mark Dion, Radjawali Irendra / Akademi Drone Indonesia, Armin Linke mit Giulia Bruno und Giuseppe Ielasi, Barbara Marcel, Julian Oliver & Crystelle Vũ, Robert Zhao Renhui / The Institute of Critical Zoologists, SHIMURAbros und autonoma / Paulo Tavares.
Einige der künstlerischen Arbeiten haben direkten Sammlungsbezug. So hat der Künstler Robert Zhao Renhui sein umfangreiches Werk über unser zwiespältiges Verhältnis zu den Insekten durch Besuche in der Entomologischen Sammlung des CeNak vor Ort zu einer großen Rauminstallation weiterentwickelt. Das Künstlerduo Bik Van der Pol fand durch einen Besuch in der Mammalogie Inspiration zu einer tieferen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Naturbildes als Replik in einem Spannungsverhältnis von Realität und Fiktion.
Andere künstlerische Arbeiten sind durch Reisen in Brasilien und Indonesien entstanden. Auf Borneo, Java und Sumatra führte der Fotograf und Filmemacher Armin Linke gemeinsam mit seiner Kollegin Giulia Bruno und den Kuratoren Anna-Sophie Springer und Dr. Etienne Turpin zahlreiche Interviews mit Anwohnern, Plantagenarbeitern, Kleinbauern, Umweltschützern, Regierungsbeamten und Wissenschaftlern. Daraus entstanden ist ein filmisches Dokument, das die Geschwindigkeit reflektiert, mit der Indonesien sich gegenwärtig inmitten von gewaltigen Torfmoorfeuern in eine Palmöl-Nation verwandelt. Maria Thereza Alves gibt in ihrer Museumsinstallation den 33 indigenen Clan Chiefs das Wort, die sie einen Monat lang in Brasilien bei einem Workshop für indigene Agroforstwirtschaft und Ressourcenschutz begleitet hat. Revital Cohen & Tuur van Balen richten den Blick nach innen und durchleuchten konservierte Vögel mit eiskaltem Röntgenblick, während die automatisierte Multimedia-Installation Extinction Gong von Julian Oliver & Crystelle Vũ die Rote Liste gefährdeter Arten des IUCN in Echtzeit in einen schaurigen Schlagrhythmus übersetzt.
Ein besonderes Highlight ist auch das digitale 3D-Rendering des Schädels eines Sumatra-Nashorns aus der Sammlung des CeNak, das in Kooperation mit dem Hamburger Hersteller von industriellen Röntgen- und Computertomografie-Systemen, YXLON International GmbH und Volume Graphics GmbH, erstellt wurde. Das Exponat zeigt das Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Erkenntnis und medialer Ent-Naturalisierung. Als animierter, kolorierter CT-Scan dient der Schädel der Wissenschaft und macht zugleich als visualisiertes, verfremdetes Objekt auf die Situation dieser von der Ausrottung bedrohten Tierart aufmerksam.
Außerdem zu sehen sind eine der ältesten BBC-Dokumentationen des britischen Biologen David Attenborough und eine Auswahl von Videos aus dem umfangreichen Bird-of-Paradise-Project des Ornithologen Ed Scholes (Cornell Lab of Ornithology) und des Naturfotografen Tim Laman.
Zum ersten Mal wird im Zoologischen Museum Hamburg ein raumfüllendes Kunstprojekt gezeigt.
Anna-Sophie Springer und Dr. Etienne Turpin, Kuratoren und Initiatoren der Sonderausstellung:
„Wir glauben, dass das Naturkundemuseum das Potential und die Aufgabe hat, aktuelle Problematiken wie Artensterben, Entwaldung und Klimawandel zu thematisieren. Es ist nach wie vor ein zentraler Ort, an dem die Menschen etwas über die Natur lernen. Wir möchten den Leuten dort entgegenzukommen, wo sie schon daran gewöhnt sind, sich Fragen zur Natur zu stellen. Dort möchten wir sie dort vor allem einladen, auch andere Perspektiven einzunehmen.“
Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Direktor des CeNak und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung:
„Forscher und Künstler sind ja sehr wesensverwandt; beide sind unstillbar neugierig und davon getrieben, Neues zu erkunden – und das jeweils auf ihre Weise auch dar zu stellen. Tatsächlich sollten wir Wissenschaft und Kunst nicht streng voneinander trennen. Deshalb gehört Kunst für mich eigentlich selbstverständlich auch in ein Naturkundemuseum.“
Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm bestehend aus Führungen, Lesungen, Filmabenden und anderen Abendveranstaltungen sowie eine Begleitbroschüre in deutscher und englischer Sprache. Für Ende März 2018 ist zudem ein Symposium geplant.