Der Indianer als Prophet der Nachhaltigkeit – ein Mythos?
Indianer – Verlorene Welten
Botanischer Garten und Zoologisches Museum
24. Juni 2018 bis 30. September 2018
Ein Interview mit Matthias Glaubrecht
Karl May hat ganze Arbeit geleistet. Das folkloristische Bild vom federgeschmückten Indianer, der in Harmonie mit der Natur lebte und die Umwelt schonte hat unsere Vorstellung über die indigenen Völker Nordamerikas grundlegend geprägt. Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Direktor des CeNak und Wissenschaftshistoriker, reflektiert das Image vom „edlen Wilden“ und möchte eine andere Geschichte der Indianer Nordamerikas erzählen.
Was ist dran am Bild des typischen Indianers mit langem Haar, Federschmuck und Fransenkleidung?
Unser arg verzerrtes Indianerbild lässt die Ureinwohner Nordamerikas stereotyp reitend und den Bison jagend durch die Prärien der Great Plains ziehen. Übersehen wird dabei, dass diese – gemeinhin dank Kolumbus‘ Irrtum „Indianer“ genannt – einst den Bison beinahe ausgerottet haben. Und dass ein großer Teil der trockenen Grasländer der Ebenen erst dauerhaft besiedelt wurde, nachdem die Spanier im 16. Jahrhundert wieder Pferde in die Neue Welt gebracht hatten, die die westlich des Mississippi siedelnden Indianervölker in ihre Kultur integrierten. Denn die längste Zeit waren Indianer Fußgänger; der „unbegreifliche Hund“, wie die Lakota das Huftier nannten, veränderte das Leben indianischer Völker, erleichterte ihre Jagd, erhöhte ihre Mobilität und wurde zum Statussymbol. So ist die Bisonjagd der Plains-Indianer eine kulturelle Neuentwicklung, die erst seit Mitte des 17. Jahrhunderts einsetzte.
Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Nordamerikareisen des Naturforscher Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied?
So sehr sich etwa die Reisenden Maximilian Prinz von Wied-Neuwied und Karl Bodmer in den 1830er Jahren am oberen Missouri um ein authentisches Indianer-Bild bemühten, so sehr entstand auch dank ihrer Darstellungen in späteren Quellen und Berichten aus zweiter Hand eine mythenhafte Gestalt. Von Alexander von Humboldt bis zu Karl May verklärte man in Europa „den“ stolzen und unabhängigen Indianer in Bildern und Berichten, die auffällig an Statuen der griechischen und römischen Antike erinnerten. Mit dem ikonenhaften äußeren Erscheinungsbild wurde zugleich die Lebensweise der „Wilden“ mystifiziert. Dennoch: den Reisedokumentationen von Prinz von Wied und Bodmer verdanken wir Einblick in eine Welt, die es längst nicht mehr gibt.
Inwieweit haben die indigenen Völker Nordamerikas die Flora und Fauna des Kontinents verändert?
Die Ureinwohner Nordamerikas waren einst selbst Invasoren. Vor ungefähr 25.000 Jahren hatte sich in Ostasien eine Population abgetrennt und begonnen Beringia zu besiedeln. Innerhalb weniger tausend Jahre hatten sie den jungfräulichen Doppel-Kontinent bis nach Feuerland durchzogen und begonnen die gesamte Neue Welt zu besiedeln.
Sicher scheint heute: auch Indianer haben die Natur nicht geschont und ihre später vielbeschworene „Mutter Erde“ oft rücksichtslos ausgenutzt. Egal ob Nomaden oder Bauern, die Jagd war für fast alle Indianer die wichtigste Nahrungsquelle. Überliefert ist beispielsweise die Treibjagd auf ganze Bisonherden, um sie in den Abgrund springen zu lassen. Dabei kamen stets mehr der wilden Rinder um, als der Stamm brauchte.
Umweltgeschichtsforscher erkennen heute immer mehr, dass auch die amerikanischen Ureinwohner einen deutlichen ökologischen Fußabdruck auf dem Kontinent hinterließen. Sie konnten zeigen, dass Indianer intensiv Wälder gerodet und ihre Umwelt selbst gestaltet haben. So hing der Ertrag des Bodens von einem komplizierten Zyklus des Niederbrennens, der Kultivierung und des Erntens ab. Die von den Indianern bestellten Ländereien hatten ihr eigenes ökologisches Gleichgewicht; Bohnen und Mais etwa pflanzten sie nebeneinander, um Stickstoff im Boden zu halten. Dieses wurde nachhaltig durcheinander gebracht, als europäische Haus- und Stalltiere wie Schweine und Pferde die Böden etwa in der Prärie zerstörten.
Ist der Indianer also nicht der „edle Wilde“ und erste Öko?
Der „grüne rote Mann“ ist ein Mythos, so sind heute viele Anthropologen überzeugt. Das populäre Bild vom die Natur respektvoll schonenden Indianer ist im Grund nichts anderes als eine weitere Variante der beständigen Fiktion des „Edlen Wilden“. Sie spiegelt nicht die Realität wider, sondern sagt mehr über uns selbst aus als über indianische Kulturen. Die Vorstellung „Wilde“ seien bessere Menschen als die von den Zwängen der Zivilisation Korrumpierten, geht auf den französischen Philosophen Jean-Jacques Rousseau und die Zeit der Aufklärung zurück.
Was allerdings richtig ist: gemäß ihrem animistischen Weltbild sind für die Indianer alle Tiere, Pflanzen und Steine belebt. In ihrer Welt der Geister ist alles mit allem verbunden und die Natur mehr als bloß eine Sammlung von Rohstoffen. Richtig ist auch, dass das Verhältnis der Indianer zur Natur viel enger war als das der in Nordamerika einfallenden Europäer. Beinahe alle indianischen Sprachen weisen ökologische Metaphern auf. Um zu überleben hatten natürlich sämtliche indigene Völker gelernt, etwa Kräuter und andere Pflanzen zu medizinischen Zwecken zu nutzen.
Was halten Sie von der Theorie, dass die Indianer die Megafauna Nordamerikas ausgerottet haben?
Nach jüngsten Genom-Analysen gehen Anthropologen Von einst höchstens 5000 Menschen aus, die als Ahnen aller amerikanischen Ur-Einwohner gelten. Einige Forscher vermuten, andere sind da skeptischer, dass diese Menschen gleich als erstes die eiszeitliche Megafauna – eine aus Mammut, Mastodon, Moschusochse, Wollnashorn, Steppenbison und Säbelzahnkatze, Riesen-Bodenfaultiere und Pferden bestehende Menagerie – in einer Art ökologischem Blitzkrieg ausgerottet haben. Zwar ist diese „Overkill-Hypothese“ weiterhin heftig umstritten; tatsächlich aber verschwanden überall dort, wo die Ahnen der Indianer im Laufe der Siedlungsgeschichte auftauchten, bald darauf sämtliche Großsäuger von mehr als einer Tonne Gewicht.
Sicher ist, dass die ersten Siedler sich nicht nur von Beeren, Nüssen und Gräser ernährten oder entlang der Küsten und Flüsse Fische fingen, sondern dass sie mit Wurfspießen und Speerschleudern Großtiere jagten. Sehr wahrscheinlich ließ dieser Jagddruck zusammen mit klimatischen Effekten die Megafauna aussterben. Nur Elch und Karibu, Bison und Bär konnten sich in abgelegene Regionen retten, von wo aus sie später den Norden Nordamerikas wieder besiedelten.