Interview
Aha-Erlebnisse bei "Urpferd 2.0"
Im Galopp lässt sich „Urpferd 2.0“ kaum erkunden. Dafür ist die Sonderausstellung im Geologisch-Paläontologischen Museum des LIB in Hamburg zu vielfältig und anregend. Die Reise zu den Ahnen unserer heutigen Reitpferde lädt dazu ein, bei der virtuellen Rekonstruktion eines laufenden Urpferdchens mitzumachen. Dr. Ulrich Kotthoff, Ausstellungsleiter des Museums, im Gespräch:
Was sollten Pferdefreunde unbedingt wissen? Wie hat sich das Pferd im Laufe der Jahrmillionen verändert?
Zunächst einmal gibt es keine gerade Entwicklungslinie hin zum heutigen Pferd. Im Laufe von rund 50 Millionen Jahren Pferdeevolution gab es viele Seitenlinien, die heute ausgestorben sind. Die „Urpferdchen“ wie das Propalaeotherium ähnelten eher kleinen Tapiren. Man kann aber einen Trend zu einer Verringerung der Zehenanzahl sowie zu größeren und hochbeinigen Formen bei den Pferden feststellen – dieser Trend hängt mit der klimabedingten Ausbreitung von Graslanden zusammen.
Was leistet die Ausstellung aus Ihrer Sicht für die Paläontologie?
Sie illustriert wirklich sehr anschaulich, mit welchen Methoden man aus den versteinerten Überresten eines Tieres eine sehr fundierte Vorstellung seiner Gestalt und seiner Bewegungsabläufe gewinnen kann.
Weiterhin zeigt sie, wo Forschende auf – hoffentlich gut begründete – Vermutungen angewiesen sind, zum Beispiel bei der Fellfarbe. Wir haben „Urpferd 2.0“ bereits in der paläontologischen Lehre eingesetzt und konnten unseren Studierenden ein besonderes Aha-Erlebnis verschaffen.
Ich bin den Kolleginnen und Kollegen vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt sehr dankbar, dass Sie die Ausstellung an uns weitergegeben und uns auch beim Aufbau unterstützt haben.
Haben Animationen – wie in der Ausstellung – eher Unterhaltungswert oder liefern sie auch wissenschaftliche Erkenntnisse?
Das kommt immer darauf an, auf welcher Grundlage die Animationen basieren. Im Fall der Sonderausstellung ist Herrn Amir Andikfar und Herrn Jonas Lauströer sowie Prof. Dr. Dr. h.c. Martin S. Fischer basierend auf einem sehr gut erhaltenen Fossil und unter Berücksichtigung weiterer Fossilfunde und heutiger Tiere eine überzeugende Rekonstruktion des Propalaeotherium gelungen. Solche Projekte haben definitiv einen hohen wissenschaftlichen Wert. Sehr gut finde ich, dass man neben Rekonstruktionsschritten und den Animationen auch zum Beispiel die Grabungsarbeiten ausschnittweise sehen und selbst Optionen für die Fellfarbe des Tiers ausprobieren kann.
Was macht die Grube Messel als Forschungsort so bedeutend?
Für das Eozän, also ganz grob den Zeitraum zwischen 56 und 38 Millionen Jahren vor unserer Zeit, gibt es zwar mehrere tolle Fossillagerstätten, aber die Grube Messel ist durch die Vielzahl und die Artenvielfalt der dort gefunden Fossilien etwas ganz Besonderes.
Sie gibt uns eine sehr genaue Vorstellung von einem komplexen Ökosystem – von Pflanzen über Insekten bis hin zu verschiedensten Wirbeltieren –, das fast 50 Millionen Jahre alt ist. Und da die klimatologischen Rahmenbedingungen damals in mancher Hinsicht mit unserer Zukunft vergleichbar sein könnten, zum Beispiel, was Treibhausgase betrifft, ist es natürlich besonders spannend, dieses Ökosystem zu untersuchen. Allerdings sollte man nicht daraus ableiten, dass der menschengemachte Klimawandel dafür sorgt, dass die heutigen Pferdearten wieder schrumpfen werden – das wäre etwas zu einfach gedacht. Denn leider greift der Mensch auf sehr unterschiedliche Art in Ökosysteme ein.