Artefakt und SammlungsstückSchatz des Monats November: Der Schädel eines Sumatra-Nashorns als Wissens-Archiv
1. November 2017
Foto: Rendering, Volume Graphics
Die Ausstellung "Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald" verbindet zeitgenössische Kunst mit historischen Dokumenten und ausgewählten Sammlungsobjekten aus tropischen Regionen. Das Sammlungsstück eines Sumatra-Nashorn-Schädels aus dem CeNak zeigt beispielhaft ein Naturbild im Spannungsverhältnis von wissenschaftlicher Erkenntnis und medialer Ent-Naturalisierung. Als animierter, kolorierter CT-Scan dient der Schädel der Wissenschaft und macht zugleich als visualisiertes, verfremdetes Objekt auf die Situation dieser von der Ausrottung bedrohten Tierart aufmerksam.
Gewildert in den 1920er Jahren, war das Präparat zunächst als Trophäe in einer Kaserne ausgestellt. Ein Naturalienhändler erkannte den wissenschaftlichen Wert des Objektes bei einer Entrümpelung und verkaufte es dem Zoologischen Museum Hamburg, wo es als wichtiges Natur- und Kulturgut wissenschaftlich genutzt wird und jetzt zum Artefakt stilisiert worden ist.
Das Sumatra-Nashorn gehört zu den besonders stark durch Wilderei gefährdeten Säugetieren der Tropen in Südostasien; derzeit werden nicht mehr als 150 lebende Tiere gezählt. Der Lebensraum schrumpft, die Nahrungsgrundlage schwindet. Wilderer stellen dem archaischen Koloss erbarmungslos nach. Die Frage, wie diese Nashornart doch noch vor dem Aussterben bewahrt werden kann, beschäftigt auch die Wissenschaft. „Wir müssen mehr über diese Tiere wissen, um sie schützen und ihnen möglicherweise einen alternativen Lebensraum anbieten zu können“, sagt Prof. Dr. Thomas Kaiser, Leiter der Mammalogie und Paläoanthropologie am CeNak.
Die Tiere leben tief in den Wäldern, sie zu beobachten ist ein schwieriges Unterfangen. Um herauszufinden, wie und ob die Nashörner in einer neuen Umgebung überleben können, ist Wissen über die Ernährungsstrategien wichtig. Säugetierspezialist Kaiser vermisst die Zahnabnutzung mit Oberflächen-Parametern aus der Autoindustrie und kann so historische Sammlungsobjekte mit aktuellen Labor-Experimenten abgleichen. Auch die nicht abgekaute Zahnsubstanz des Sumatra-Nashorns verrät viel über die Ernährungsstrategie der Tierart.
Zum Anlass von Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald ermöglichte das Hamburger Unternehmen YXLON International, Hersteller von industriellen Röntgen- und Computertomografie-Systemen, hierzu einen hochauflösenden CT-Scan des Objektes. An ihm kann jetzt mit Hilfe von VGSTUDIO MAX, der Analyse- und Visualisierungssoftware von Volume Graphics, eine Funktionsanalyse des Kauapparates durchgeführt werden.
„Was für mich Arbeitsgrundlage ist, haben nun die Kuratoren der Ausstellung Anna-Sophie Springer und Dr. Etienne Turpin künstlerisch weiter entwickelt“, so Kaiser. „Damit unterstützen sie letztendlich auch unser Anliegen: Sie lenken das Interesse der Öffentlichkeit auf die schwierige Aufgabe, die uns bevorsteht, wenn wir es doch noch schaffen wollen, das Aussterben dieser großartigen Tiere zu verhindern.“