Festgeklebter Gladiator: Unser Schatz des MonatsAls die Gladiatorenschrecke im „tropischen“ Europa lebte
20. Januar 2021
Das Alter ist unserem Schatz des Monats nicht anzusehen: Vor Abermillionen Jahren sorgte ein guter Tropfen Baumharz dafür, dass uns dieses Exemplar der Art Ensiferophasma velociraptor aus der Gruppe der Mantophasmatodea erhalten geblieben ist. Für Forschende am CeNak ist es ein Fenster in die Vergangenheit, um die damalige Tierwelt genauer zu studieren. Diese sogenannte Inkluse, also ein in Bernstein eingeschlossenes Tier, gibt nicht nur Hinweise auf die Körperstruktur – sie hilft darüber hinaus auch dabei, die Evolutionsgeschichte der darin gefangenen, oft ausgestorbenen Tiergattungen nachzuvollziehen. Sogar klimatische Veränderungen lassen sich so rekonstruieren. Aber was genau wissen wir über dieses in Baltischem Bernstein konservierte Insekt aus der CeNak-Sammlung?
Zunächst können wir beruhigen: Forschende sind nicht in der Lage, hieraus ausgestorbene Arten wie Dinosaurier zu klonen oder zu gar wie in Hollywood neu zu erschaffen. Die dafür benötigten Erbinformationen halten sich selbst unter besten Bedingungen nicht lang genug – maximal mehrere hundert Jahre. Dafür können Wissenschaftler wie Ulrich Kotthoff, der Leiter des Geologisch-Paläontologischen Museums am CeNak, andere wichtige Informationen aus diesen Fossilen gewinnen: Die Inkluse stammt aus einer Zeit vor etwa 40 bis 54 Millionen Jahren und enthält die bereits ausgestorbene Art Ensiferophasma velociraptor der Insektenordnung Mantophasmatodea, von der alle noch lebenden Arten ausschließlich in tropischen Gebieten Afrikas vorkommen.
Das Harz, das letztendlich zum Baltischen Bernstein wurde, entstand in Wäldern im heutigen Nordeuropa. Ensiferophasma kam also ebenfalls dort und wahrscheinlich auch in Norddeutschland vor. Wie ist das möglich, wenn unser Schatz mit wärmeliebenden Krabblern eng verwandt ist, die ausschließlich in tropischen Gebieten heimisch sind? Vor so vielen Millionen Jahren herrschte dort, wo heute Europa ist, noch ein viel wärmeres Klima als heute. Kotthoff beschäftigt sich als Geo- und Paläontologe mit der Rekonstruktion der damaligen Klimaverhältnisse: „Neben zahlreichen in Bernstein überlieferten Arten weisen auch andere Fossilfunde hin, dass zur damaligen Zeit wärmeres Klima herrschte.“, sagt er.
Unser Schatz stammt aus dem Eozän, also einer Zeit der Erdgeschichte, die vor rund 56 Millionen Jahren begann und vor etwa 34 Millionen Jahren endete. Aus einer Zeit, in der in Europa warmes Klima herrschte und sich neue Lebensformen entwickelten, kurz nachdem ein Meteorit auf die Erde prallte und beispielsweise die Dinosaurier auslöschte. Bernstein-Inklusen, wie unser Schatz, werden im Rahmen der kommenden Sonderausstellung im Zoologischen Museum „Eozän. Am Beginn unserer Welt“ zusammen mit einer Auswahl an weiteren Fossilen zu sehen sein. Viktor Hartung, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Ausstellungskonzeption am CeNak, gibt damit einen Ausblick auf die Tierwelt, die zu dieser Zeit Europa bevölkerte: „Das Eozän ist für uns so spannend, weil diese Zeit uns einerseits ziemlich fremd ist und andererseits dort der Ursprung der heutigen, uns vertrauten europäischen Tierwelt liegt.“
Im Deutschen wird diese Insektenordnung Gladiatorschrecken genannt – in Anlehnung an den Hollywoodfilm aus dem Jahr 2000. Erst 2002 von Oliver Zompro und Kollegen beschrieben, erinnerten ihn die Helme der Gladiatorenkostüme in dem Film an die stachelige Kopfform der Insekten. Damals eine wissenschaftliche Sensation: Es war seit 1914 die erste neue Insektenordnung, die beschrieben wurde. Aufgrund ihrer Füßchen werden sie auch Fersenläufer genannt. Je nach Art sind die räuberischen Insekten zwischen anderthalb und vier Zentimeter groß, flügellos sowie mit langen Antennen ausgestattet. Sie gehören zu den seltenen Beispielen für Organismen, die zuerst in fossiler Form und erst später lebendig gefunden sowie beschrieben wurden.
Am CeNak werden die Bernsteine mit Inklusen auch von den Forschenden der zoologischen Abteilungen analysiert. Beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY, wo mithilfe von Röntgenstrahlen noch genauer durch die Bernsteine hindurchgeschaut wird, damit kein morphologisches Detail der Insekten verborgen bleibt. Zudem wird auch die Beschaffenheit des Harzes untersucht und es werden Funde aus unterschiedlichen Vorkommen miteinander verglichen, um signifikante Unterschiede zu entdecken. Sind mehrere Tiere zugleich eingeschlossen, lassen sich manchmal sogar Rückschlüsse auf ihre Verhaltensweise ziehen: So gibt es Inklusen mit sich paarenden Insekten, in Kampf gestorbenen Tieren oder eben solchen, die versuchten, aus dem klebrigen Harz zu entkommen – wie vermutlich unser Schatz des Monats.