Vergleichende Biogeographie und Evolutionssytematik amphidromer Schnecken der Gattung Stenomelania (Thiaridae, Gastropoda)
Artverbreitungs- und Biodiversitätsmuster werden zumeist getrennt für terrestrisch-limnische und marine Lebensräume betrachtet. Traditionell wird bei der Ausbreitung von Süßwasserarten von einer vikarianzgetriebenen, bei marinen Arten aber von einer dispersionsgetriebenen Ausbreitung ausgegangen. Bislang fehlen eingehende Studien, die diese Prozesse vergleichend in Bezug zueinander setzen.
Die Süßwasserschnecken der Gattung Stenomelania (Fischer, 1885) (Thiaridae, Cerithioidea, Gastropoda, Mollusca) bieten Modellorganismen, an denen ebendiese Themen im direkten Zusammenhang untersucht und bewertet werden können. Die mittels eine Brutbeutels lebendgebärenden Arten von Stenomelania sind in ihrem Adultstadium an die limnischen Lebensräume Südostasiens und Australasiens gebunden, breiten sich jedoch mittels einer planktotrophen Larvalphase über marine Systeme auf ähnliche Weise wie Meereslebewesen aus. Die Untersuchung dieses Taxons im direkten Abgleich mit Befunden aus anderen, sowohl marinen als auch limnischen Gruppen erlaubt somit eine vergleichende Studie zur Einschätzung der Bedeutung intrinsischer Faktoren (z.B. Reproduktionsmodi) und extrinsischer Faktoren (z.B. Habitat und Geographie) und deren Auswirkung auf Artbildungs- und Verbreitungsprozesse.
Grundlage dafür ist eine zeitgemäße taxonomisch-systematische Revision unter Einschluss moderner Methoden. Auf dieser Erfassung basierend wird die Untersuchung von Biogeographie und Speziation von Stenomelania vorgenommen. Die Untersuchung zu Ausbreitungs- und Artbildungsmustern erfolgt im Besonderen in Hinblick auf die Untersuchung der Reproduktionsbiologie von Stenomelania. Entsprechend besteht das Projekt aus drei Forschungsschwerpunkten.
I – Taxonomische Revision: Abgrenzung von Arten und taxonomischer Redundanz
Für die Gattung Stenomelania im indo-westpazifischen Raum sind nach erster Übersicht mindestens 135 Erstbeschreibungen verfügbar. Von diesen sind nach einer vorhergehenden rein morphologischen Einschätzung regionaler Vorkommen durch Starmühlner (1976, 1984, 1993) nur etwa 13 Morphospezies als gültig zu betrachten. Hieraus ergibt sich eine vorläufige Synonymierate von 1:10,4 die somit bei weitem über der normalen, für Gastropoden zu erwartenden Rate von 1:4-1:5 liegt (Glaubrecht et al. 2009). Diese sehr hohe Redundanz weist im Wesentlichen auf eine hohe phänotypische Plastizität innerhalb dieser Gattung hin. Daher lässt sich erst nach einer eingehenden mit molekularen sowie morphologischen Daten unterfütterten taxonomischen Revision die Artenvielfalt für diese Gattung exakt einschätzen.
II – Reproduktionsbiologie: Fortpflanzungsvielfalt und Dispersionsfähigkeit
Mithilfe anatomisch-histologischer Untersuchungsmethoden an Stenomelania werden Merkmale des Genitaltraktes erfasst und Details der Brutbeutelmorphologie gegenüber anderen Cerithioidea-Gruppen geklärt. Zudem werden durch Analysen der Brutbeutelinhalte Daten zur ontogenetischen Entwicklung von Veligerlarven und den vorhandenen Reproduktionsmodi gesammelt. Durch Versuche mit lebenden Schnecken in ihren Habitaten wird erstmals ermöglicht, insbesondere die Larval-Ontogenese mit pelagischer bis benthischer Phase und Metamorphose für vivipare Süßwassergastropoden mit entsprechend modifizierter Entwicklung zu dokumentieren. Im Besonderen werden Unterschiede zwischen Arten unterschiedlicher Regionen herausgearbeitet. Besonderes Interesse liegt auf der für Gastropoden weitgehend unerforschten Dispersionsfähigkeit der Larven. Durch Einschätzung dieser werden Erkenntnisse über die Biogeographie von Stenomelania gewonnen, konkret also zur Erklärung der Verbreitungsmuster dieser Arten.
III – Biogeographie: Verbreitung, Ausbreitung und Historie des Indo-Westpazifiks
Auf Grundlage der Systematik und Reproduktionsbiologie können die Verbreitungsgebiete einzelner Stenomelania-Arten rekonstruiert werden. In Verbindung mit den Daten der reproduktionsbiologischen Analyse wird zudem auf das Potential von transozeanischer Dispersion und der Besiedlung geographischer Lebensräume durch Larvalstadien eingegangen werden. Vor diesem Hintergrund kann eine Abschätzung der Ausbreitung von Stenomelania-Arten durch Dispersion vs. Vikarianz vorgenommen werden. Bei dieser Einschätzung sollen mit Hilfe der errechneten Stammbaum-Topologien Hypothesen zur historischen Biogeographie Südost- und Australasiens getestet werden, sodass gegebenenfalls Rückschlüsse auf die erdzeitgeschichtlichen Szenarien dieser Region gezogen werden können.
Im Projekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt: Benedikt Wiggering (2015-2018).
Publikationen
- Vortrag: Wiggering, B. & Glaubrecht, M. 2016. Spotting specifics in nature’s look-alike contest: Evolutionary systematics of Thai marsupial snails. in Book of abstracts DZG meeting 2016.
- Vortrag: Wiggering, B. & Glaubrecht, M. 2016. Escaping from Adultoicentrism: On the Biogeography and Lifehistroy of Cerithioidean Gastropods from a Freshwater Thiarid Perspective. in Hwai, A. T. S.; Yasin, Z.; Peng, C. T. C.; & Razalli, N. M. (Editors) World Congress of Malacology 2016, Programme & Abstract Book.
- Vortrag: Wiggering, B. & Glaubrecht, M. 2016. Reproduktionsbiologie der Cerithioidea mit besonderer Berücksichtigung der Süßwasser-Thiariden in Hinblick auf ihre Biogeographie. – Abstract not jet printed.
Literatur
Glaubrecht, M., Brinkmann, N., Pöppe, J. 2009. Diversity and disparity „down under“: Systematics, biogeography and reproduction modes of the „marsupial“ freshwater Thiaridae (Caenogastropoda, Cerithioidea) in Australia. Zoosystematics and Evolution, 85(2): 199-275.
Starmühlner F. 1976. Ergebnisse der Österreichischen Indopazifik-Expedition 1971 des 1. Zoologischen Insitutes der Universität Wien: Beiträge zur Kenntnis der Süßwassergastropoden pazifischer Inseln. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, 80/B: 473-656.
Starmühlner, F. 1984. Results of the Austrian-Indian hydrobiological mission 1976 to the Andaman-Islands; Part IV: the freshwater gastropods of the Andaman-Islands. Annalen des Naturhistorischen Museums Wien, 86/B: 145-204.
Starmühlner, F. 1993. Ergebnisse der österreichischen Tonga-Samoa Expedition 1985 des Instituts für Zoologie der Universität Wien: Beiträge zur Kenntnis der Süß- und Brackwasser-Gastropoden der Tonga- und Samoa-Inseln (SW-Pazifik). Annalen des Naturhistorischen Museums Wien, 94/95 B: 217-306.