Alles im Fluss – Mit tropischen Schnecken auf der Spur von „Darwins Geheimnis“ um die Entstehung neuer Arten
Neues Forschungsprojekt zur Phylogenomik von Süßwasserschnecken im Kaek River, Thailand
Aktuell: Den Schnecken auf der Spur - Feldforschung in Thailand
Die Entstehung neuer Arten ist einer der fundamentalen Vorgänge der Evolution. Die Mechanismen bei dieser Speziation zu verstehen ist schon seit mehr als einem Jahrhundert eines der zentralen Ziele der Biologie. Bedeutende Naturforscher haben sich mit dieser Frage um die Artenbildung beschäftigt, allen voran Charles Darwin, Alfred Russel Wallace und vor allem Ernst Mayr, der „Darwin des 20. Jahrhunderts“. Neben der inzwischen „klassischen“, durch Mayr geprägten Auffassung von einer Entstehung der Arten durch geographische Barrieren werden seit einigen Jahren auch vermehrt andere Möglichkeiten als Ursache der Speziation diskutiert.
Hier setzt das nun durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell geförderte Projekt an. Am Beispiel von Süßwasserschnecken der unter anderem auch in Thailand weitverbreiteten Gattung Brotia – einigen Aquarianern vielleicht inzwischen als hübsches Haustier bekannt (insbesondere Brotia armata oder Brotia pagodula) – soll versucht werden, genauere Einblicke in die Mechanismen und Muster der Artenentstehung zu erhalten. Unsere Vorstudien haben gezeigt, dass allein in einem bestimmten Fluss in den Bergen Thailands, dem Kaek River-System, vielfältige Varianten dieser Schnecken leben. Warum finden sich aber ausgerechnet dort so viele verschiedene Arten? Und: Sind es überhaupt „gute“ (d.h. eigenständige) Arten im Sinne einer Biospezies. Wenn ja, wie lassen sie sich voneinander abgrenzen – und vor allem: wie sind sie genau entstanden?
In Zusammenarbeit mit dem Evolutionsbiologen Walter Salzburger von der Universität Basel sollen in diesem Projekt auch erstmals an Süßwasserschnecken mit Hilfe von „next generation“-Sequenzierverfahren detaillierte Einblicke in die Verwandtschaft dieser eng benachbart lebenden Schnecken gewonnen werden. Dies soll zusammen mit der Erforschung der äußeren Morphologie, der Reproduktionsstrategie und verschiedener anderer Merkmale im Rahmen eines Promotionsprojekts (Nora Lentge-Maaß) untersucht und ausgewertet werden.
Das Kaek River-Projekt:
Mit der allopatrischen Artenbildung, also die Entstehung der Arten durch geographische Blockade des Gen-flusses und damit einhergehender reproduktiver Isolation, wurde lange ein grundsätzlich geographischer Mechanismus für die Herausbildung der Biodiversität diskutiert. Die sympatrische Artenbildung gewinnt jedoch immer mehr Aufmerksamkeit und wird als ein alternativer Mechanismus angesehen. Um Einblick in die zugrundeliegenden Prozesse zu gewinnen und auch das Verhältnis der beiden möglichen Speziationsmodi genauer zu bestimmen, sind weitere Untersuchung nächst verwandter Arten mittels detaillierter phylogenetischer Methoden nötig.
Bisher wurden bei Speziationsstudien im wesentlichen Wirbeltiere modellhaft untersucht. Einige stellen inzwischen Lehrbuchbeispiele dar, wie etwa die Darwinfinken (Geospizidae) auf Galapagos oder unter den Fischen die Buntbarsche (Cichlidae) afrikanischer und mittelamerikanischer Seen und Flüssen. Dabei wurden neben der geographischen Isolation auch ökologische Faktoren sowie sexuelle Selektion als verantwortliche Mechanismen erkannt.
Bei der Untersuchung solcher Modellsysteme profitiert die biosystematische Forschung inzwischen erheblich von der rasanten Methodenentwicklung im Bereich der Genomforschung, dank der sich neben einer deutlich erhöhten phylogenetischen Auflösung vor allem Einblicke in die zugrundeliegenden genetischen Mechanismen gewinnen lassen. Als eines der innovativen Verfahren wird hier neuerdings die RAD-Sequenzierung („restriction-site associated DNA sequencing“) eingesetzt. Dieses soll nun auch in diesem Projekt und erstmals an Süßwasserschnecken erprobt werden.
Ursprünglich waren für Brotia aus dem rund 100 km langen (bis dahin zugänglichen) Abschnitt im Kaek River von dem Hamburger Malakologen Rolf Brandt (1968, 1974) auf Basis der äußeren Schalenmorphologie zehn Morphospezies (damals inklusive Unterarten) beschrieben worden. Jedoch wurden diese Arten aufgrund distinkter Schalenmorphologie nicht allein Brotia, sondern zudem einer zweiten Gattung Paracrostoma zugeordnet. Tatsächlich konnten wir in Vorstudien zeigen, dass im Kaek River sieben verschiedene Brotia-Arten sympatrisch bzw. kleinräumig parapatrisch (dies- und jenseits von Katarakten) vorkommen, die sich schalenmorphologisch, hinsichtlich ihrer Radula-Morphologie sowie molekulargenetisch differenzieren lassen. Somit liegt mit dem Kaek River-System ein im Hinblick auf die unidirektionale Topographie überschaubares sowie geologisch hochinteressantes und ökologisch strukturiertes Umfeld zur Untersuchung der tatsächlich wirksamen Artenbildungsmechanismen vor.
Publikationen
Zusammenfassung des DFG-Projektes:
Radiation im Fluss – Mechanismen der Artenbildung bei viviparen Süßwasserschnecken endemisch im Kaek River, Thailand. DFG GL 297/26-1
Die Frage nach dem Prozess, wie Arten und damit die Biodiversität insgesamt entstehen, wird bisher modellhaft im Wesentlichen an Wirbeltieren untersucht, obgleich Invertebraten-Gruppen die eigentliche Artenvielfalt stellen. Neben einer vielfach wirksamen geographischen Verursachung (allopatrische Speziation) belegen Studien neuerdings auch nicht-geographische, insbesondere ökologische Speziation durch mit der Umwelt in Beziehung stehende Selektionsvorgänge. Süßwasserschnecken sind nachweislich gut geeignete Modellorganismen zur Erforschung von Speziationsmechanismen, u.a. aufgrund ihrer eingeschränkten Beweglichkeit und der damit korrelierten hohen Bindung an Habitatbedingungen. Adaptive Radiationen vor allem in tropischen Seen lieferten dabei bereits wichtige Einblicke, erwiesen sich aber als komplexe Systeme. Dagegen sind Artenschwärme in Flüssen bisher kaum untersucht, aber aufgrund der geographisch linearen Topographie für Studien zur Speziation leichter zugänglich. Endemische Süßwasserschnecken der Gattung Brotia im Kaek River in Thailand stellen mit weniger als einem Dutzend mikrogeographisch skalierten Arten ein ideales Modellsystem gleichsam als natürliches Experiment zum Studium grundlegender Speziationsmechanismen und Einflußfaktoren zur Verfügung. Zusätzlich zur molekularen Phylogenie und Phylogeographie des Artenschwarms und seiner entlang der kontinuierlichen unidirektionalen Topographie des Kaek Rivers vorkommenden sym-, para- und allopatrischen Arten und Artenpaare, sollen unter Einsatz von „next generation“-Verfahren – konkret der innovativen RAD (restriction-site-associated DNA)-Sequenzierung – Divergenzdaten auf genomischer Ebene mit höchster Auflösung genutzt werden, um überprüfbare Aussagen zur Wirksamkeit geographischer Barrieren bzw. anderer, etwa ökologisch bedingter, Mechanismen genetischer Isolation zu entwickeln und zu testen. In einem integrativen Ansatz, d.h. unter Einbeziehung morphologischer Daten (Anpassungen der Schale und Radula-Zunge) zur intra- und interspezifischen Divergenz bei riverinen Schnecken, solchen zu ihrer Lebensgeschichte (vivipare Reproduktionsstrategien), sollen vor dem Hintergrund ökologischer Parameter (v.a. Habitat und Substratpräferenz) Hypothesen zur räumlich korrelierten genetischen bzw. ökologischen Differenzierung, insbesondere zur Rolle trophischer Spezialisierung, beim Speziationsvorgang überprüft werden, um das Vorliegen einer tatsächlich originär riverinen Radiation zu beurteilen. Die modellhaft angelegte Studie erlaubt im Abgleich mit anderen, nicht nur den Einfluß extrinsischer (d.h. ökologischer versus geographischer) Faktoren bei der Entstehung der Biodiversität abzuschätzen; zugleich liefert sie die notwendige Datengrundlage zur Abschätzung des Beitrags möglicher intrinsischer (d.h. genetischer) Verursachung des Speziationsprozesses.
Promotionsprojekt
Testing a riverine radiation – Mechanism of speciation in viviparous freshwater gastropods endemic to the Kaek River, Thailand
Am Beispiel von Spezies aus der Gruppe der Süßwasserschnecken Brotia soll im Kaek River modellhaft die Evolution und Artenbildung in einem Fluss-System untersucht werden.
Im Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin beschäftigt: Nora Lentge-Maaß (2016-2019)