Das Scanning Lisa-Projekt im Centrum für Naturkunde
Das Projekt
Das Scanning Lisa-Projekt des CeNak“: Nur etwa 20 Narwalschädel mit gleich zwei Stoßzähnen (sogenannte „double tuskers“) sind weltweit bekannt und erhalten. Doch nur der Hamburger Narwal wird, ausweislich des historischen Berichts über den in ihm gefundenen Fötus, einem weiblichen Tier zugeschrieben. Letztlich gesichert ist dieser Befund damit aber noch nicht. Die Zuordnung wird nun als Teil einer aktuellen wissenschaftlichen Untersuchung erstmals auf die Probe gestellt.
Dabei wird dem Schädel des Narwals behutsam Knochensubstanz entnommen. Mittels sogenannter „ancient DNA“-Methoden soll dann im Labor versucht werden daraus Erbsubstanz zu gewinnen, die sich möglicherweise im Knochen – trotz Präparation und Reinigung Anfang der 1980er Jahre, u.a. mit erhitzter Natronlauge – erhalten hat. Mit Hilfe von im Computer wieder zusammengesetzten DNA-Fragmenten und unter Anwendung jüngster „next generation sequencing“-Verfahren lässt sich auch eine Geschlechts-bestimmung vornehmen.
Für den DNA-Vergleich werden nun nicht nur genetische Proben von „Lisa“ genommen, sondern auch von zwei weiteren in der Zoologischen Sammlung vorhandenen Narwalschädeln und Stoßzähnen; von diesen ist einer einzähnig und eindeutig einem Männchen zugeordnet, ein zahnloser dagegen einem Weibchen.
Die Probennahme erfolgt gemeinsam mit Thomas Kaiser, Säugetier-Kurator und Experte für die Unter-suchung von Säugerzähnen am CeNak. Die anschließende genetische Analyse führt der Molekularbiologe Michael Hofreiter am Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam durch.
Das Tier hinter dem Stoßzahn
Die zu den Zahnwalen (Odontoceti) gestellten Narwale aus der Familie der Gründelwale (Monodontidae) sind im Arktischen Ozean verbreitet, und vor allem in den Meeresregionen vor der West- und Ostküste Grönlands anzutreffen. Hier dringen sie im Sommer weiter nach Norden vor als jedes andere Säugetier der Erde.
Narwale sind, ohne Stoßzahn, bis zu fünf Meter lang; die Männchen werden bis zu anderthalb Tonnen schwer. Der schraubenförmig entgegen dem Uhrzeigersinn gedrehte Stoßzahn wird etwa zweieinhalb Meter lang; der längste bekannte Stoßzahn ist 2,74 Meter lang.
Die naheliegende Frage, wozu Narwale ihren gewaltigen Stoßzahn einsetzen – der seit dem Mittelalter als Stirnwaffe des fabelhaften Einhorns galt –, wird seit langem diskutiert; sie ist aber letztlich noch immer ungeklärt.
Um auch hier Aufschluss zu bekommen, werden am CeNak nun entsprechende Studien durchgeführt. „Wir werden im Verlauf der kommenden drei Jahre eine Vielzahl modernster Forschungsmethoden an Lisa zum Einsatz bringen“, so Thomas Kaiser. Dazu gehören die Erstellung präziser 3D-Modelle und die Modellierung des Wasserwiderstandes ebenso wie die Oberflächenanalyse der gewaltigen Stoßzähne. Thomas Kaiser erhofft sich Hinweise darauf, wie die Tiere ihre mächtigen Lanzen unter Wasser benutzen.
„Dieser Narwalschädel ist ein hervorragendes Beispiel für das Potenzial wissenschaftlicher Sammlungen“, erklärt Professor Matthias Glaubrecht. „Mit den heutigen Methoden können wir auch jahrhundertealte Stücke noch für die moderne Forschung nutzen und neue Erkenntnisse gewinnen, die vor einigen Jahren nicht möglich gewesen wären.“
Die Geschichte des Narwalschädels
Betagt, weiblich und einmalig erzählt „die Mona Lisa Hamburgs“ – der Schädel eines arktischen Narwals (Monodon monoceros Linnaeus, 1758) – vom bewegten Schicksal der naturkundlichen Sammlungen der Hansestadt.
- Ende August des Jahres 1684 brachte Dirk Petersen, Commandeur auf dem Walfänger „De goude Leeuw“ („Der Güldne Löwe“) seinem Reeder Guilliam Koen aus arktischen Gewässern – der Grön-land-See bei Spitzbergen – einen außergewöhnlichen Fang mit: den zweizähnigen Schädel eines „Einhornfisches“, wie Narwale lange genannt wurden.
- Bei Narwalen tragen üblicherweise nur die Männchen einen zum Stoßzahn ausgewachsenen Schneidezahn im Oberkiefer; deshalb auch der wissenschaftliche Name Monodon monoceros (soviel wie „einhörniger Einzahn“). Ein zeitgenössisches Flugblatt, den heutigen Tageszeitungen vergleichbar, zudem mit einem illustrierenden Kupferstich, berichtet im Fall des von Petersen harpunierten Narwals von einem aus dem Leib des Muttertieres entnommenen und in eingetrockneter Form (durch „unfleißige Dörrung“, wie es heißt) gleichfalls nach Hamburg gebrachten Wal-Embryo.
- Die „Mona Lisa der Hamburger“ ist mit ihren 330 Jahren daher nicht nur alt, sondern dank ihrer beiden langen gedrehten Stoßzähne im Schädel des Weibchens weltweit einmalig.
Die seit dem Mittelalter lange für das Zeugnis des mysterösen Einhorns gehaltenen Stoßzähne der Narwale waren ein begehrtes Objekt höfischer Wunderkammern und Naturalienkabinette. Auch der nach Hamburg gebrachte Narwal ging anschließend lange auf eine Odyssee durch verschiedene Privatsammlungen und die ersten Kaufmannsmuseen der Stadt, die damals unter anderem für diesen Schädel berühmt waren.
So wissen wir etwa aus einem Eintrag in seinem Reisetagebuch, dass der berühmte Dichter und Naturforscher Adelbert von Chamissos 1815 auf dem Weg zu seiner Weltumsegelung auf dem russischen Schiff „Rurik“ im Juli 1815 in Hamburg Station machte, wo er im – seit 1804 auch öffentlich zugänglichen – Privatmuseum des Kaufmanns Peter Friedrich Röding (1767-1846) am damaligen Deichthorwall diesen 1798 erhaltenen Narwal-Schädel bewunderte. Zuvor war es Röding gelungen während der Besatzungszeit durch französische Truppen 1806-1811, die auch in Hamburg sehr gezielt nach Kunst- und Naturschätzen suchten, den einmaligen Schädel erfolgreich vor dem Zugriff zu verstecken. Rödings Museum, das für die damalige Zeit recht bedeutend gewesen sein dürfte, war der erste Hamburger Versuch, die Tierwelt der Allgemeinheit in einer musealen Darstellung vorzuführen.
Auch der deutsche Dichter Heinrich Heine nannte in der in den 1820er Jahren entstandenen Erzählung „Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski“ jenes Museum Röding mit seinem Narwal-Schädel eines der sieben “Merkwürdigkeiten” Hamburgs, die Besucher gesehen haben sollten.
Im Jahr 1847 wurde der Narwal, zusammen mit den zoologischen Beständen des Museum Röding, für das wenige Jahre zuvor begründete Naturhistorische Museum erworben. Anfangs noch im Johanneum untergebracht, dem Akademischen Gymnasium Hamburgs (heute steht dort das Hamburger Rathaus), konnte das Naturhistorische Museum 1891 endlich in einem eigenen Gebäude am Steintorwall eröffnet werden. Eines der Prunkstücke darin war auch der einmalige Narwal-Schädel.
Das seinerzeit zweitgrößte und meistbesuchte Naturkundemuseum Deutschlands wurde dann in der Nacht zum 30. Juli 1943 durch Brandbomben während der sogenannten „Operation Gomorrha“ zerstört; seine Schausammlungen verbrannten vollständig, andere waren glücklicherweise zuvor ausgelagert worden. Nur dank eines beherzten Präparators wurde der Narwal-Schädel – als einziges Objekt der Ausstellung im Naturhistorischen Museum – vor Krieg und Zerstörung bewahrt. Otto Holle hatte den Narwal-Schädel kurz zuvor aus seiner Halterung in der Ausstellung genommen und gut verpackt im Keller des Museums eingemauert, wo er Bombardierung und Feuersturm unbeschadet überstand.
Später, als das Zoologische Museum im Provisorium eines ehemaligen Hochbunkers auf dem heutigen Universitäts-Campus untergebracht war, wurde der Narwal-Schädel im August 1958 neben anderen Stücken in den Schaufenstern der Geschäfts¬stelle des „Hamburger Abendblatts“ am Gänsemarkt gezeigt.
Heute ist der Narwalschädel gleich rechts im Eingang der Ausstellung im Zoologischen Museum des Centrums für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg zu sehen. Als Wahrzeichen des CeNak wirbt das von den Forschern liebevoll „Mona Lisa“ genannte Exponat mit der Inventar-Nummer ZMH Mamm S 10.192 nun für den Wiedererrichtung eines neuen Naturkundemuseums, das Hamburg als einziger Metropole seit dem Krieg noch immer fehlt.
Presseberichterstattung
Funk und Fernsehen:
- NDR.de
Rätselhafter Narwal-Schädel wird untersucht - SAT1.Regional Hamburg
Rätselhafter Narwal-Schädel: Hamburger Wissenschaftler machen DNA-Test
Print und Online:
- Die Welt
Wal-Schädel im DNA-Test "Was macht ein Weibchen mit zwei Gewihen?" - Focus Online
Rätselhafter Narwal-Schädel: DNA-Test soll Klarheit bringen - Sächsische Zeitung SZ-Online
Narwal-Kuh mit zwei Stoßzähnen? - Hamburger Abendblatt
Rätselhafter Narwal-Schädel beschäftigt Hamburger Forscher
Pressemeldung:
- Pressemeldung der Universität Hamburg
"Scanning Lisa": Der Narwalschädel des Centrums für Naturkunde wird erforscht