Insektensterben oder warum die Frontschreibe sauber bleibtEntomologe Martin Husemann erklärt Gründe und Auswirkungen dieser Entwicklung
15. Mai 2017
Foto: UHH, RRZ/MCC, Mentz
Martin Husemann leitet die Insektenabteilung im CeNak.
In Teilen Deutschlands ist die Zahl der Fluginsekten in den vergangenen Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. Dr. Martin Husemann beobachtet im Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg Hintergründe und Auswirkungen dieses großen Insektensterbens, das sich auch direkt auf die Vogelwelt auswirkt:
Studien warnen vor dramatischem Insektensterben. Wie sieht die Situation in Norddeutschland aus?
Martin Husemann:
Die Insekten werden weniger. Das belegt u. a. eine gerade veröffentlichte Studie des Entomologischen Vereins Krefeld www.sciencemag.org und auch die Studie von Rothamsted www.rothamsted.ac.uk.
Diese Entwicklung kann auch jeder im Alltag beobachten, zum Beispiel an den sauberen Windschutzscheiben nach einer langen Autofahrt – früher klebten hier Massen an Insekten. Derzeit gibt es aber für den Norden Deutschlands kaum groß angelegte Studien. Es fehlt an Monitorings. Um genaue Zahlen und Aussagen liefern zu können, benötigen wir unbedingt mehr lang angelegte Diversitätsstudien, die uns erlauben, Aussagen über die Zunahme und das Verschwinden von Arten zu treffen. Die wissenschaftlichen Sammlungen auch in unserem Haus sind eine wichtige Ressource für solche Studien. Daher nutzen wir sie auch im Moment, um den Status der Bienen in Hamburg zu überprüfen und Bestandveränderungen einschätzen zu können.
Was sind die Gründe?
Martin Husemann:
Es gibt viele Gründe, die vor allem in der Masse einen großen Effekt haben. Der Verlust von natürlichen Lebensräumen ist das größte Problem. Durch intensive Landwirtschaft, Überdüngung und Monokultur fehlt es an natürlichen Blütenwiesen und einem breitgefächerten Nahrungsangebot für Insekten. Aber es spielen auch Umweltgifte eine große Rolle. Die Wirkung und Auswirkung vieler neuer Pestizide und Insektizide wird jetzt erst untersucht und ausgewertet.
Daneben spielen auch die Klimaveränderung und subtilere Faktoren wie Lärm- und Lichtverschmutzung eine Rolle.
Welche Auswirkungen hat die Dezimierung innerhalb der Nahrungskette vor allem auch für die heimischen Vögel?
Martin Husemann:
Insekten sind die Hauptnahrungsquelle vieler Vogel. Wenn diese versiegt, leiden die Vögel. Es werden weniger Jungvögel aufgezogen und die gesamten Populationen verkleinern sich. Auch hier spielt der Verlust des Lebensraumes die größte Rolle, aber der Schwund von Nahrungsquellen hat ebenso eine große Auswirkung.
Wie kann man dem Insektensterben entgegen wirken?
Martin Husemann:
Wir müssen den Insekten Raum zugestehen. Das heißt, wir müssen ihnen Nist- und Rastplätze geben und ihnen ihre natürlichen Nahrungsquellen lassen, bzw. diese wieder herstellen oder Alternativen bieten. Im Garten kann man einzelne Ecken natürlicher belassen, nicht mähen, nicht düngen, nicht spritzen. Wir können insektenfreundliche Pflanzen anbauen und in der Landwirtschaft durch Blühstreifen weiteren Lebensraum schaffen. Pestizide sollten nur eingesetzt werden, wenn dies unbedingt notwendig ist. Im Garten ist dies sicherlich nicht nötig. Wir müssen einfach auch bewusster mit unserer Umwelt umgehen.
Welche Aufgabe übernimmt das CeNak im Punkte Insektenschutz?
Martin Husemann:
Wir haben verschiedene Aufgaben. Zum einen müssen wir über die Artenvielfalt aufklären und für die Natur begeistern. Zum anderen stellen unsere Sammlungen wichtige Daten zur Verfügung, die über den Status von Insektenpopulationen in der Vergangenheit und heute informieren. Unsere Sammlungen können uns zum Bespiel Informationen darüber liefern, welche Insekten früher häufig vorkamen und nun selten oder ganz verschwunden sind. Diese Informationen liefern die Basis für Schutzmaßnahmen.