Kurz erklärt ...Der Bandwurm war mit im Gepäck - Haustiere zu Unrecht verurteilt
28. April 2020
Foto: Thomas Kaiser & Agness Gidna
Der fossile Schädel “Olduwai Hominid 24” ist 1,8 Millionen Jahre alt und wird zu Homo habilis gerechnet. Diese Frühmenschen lebten in Afrika und entwickelten trotz ihrer kleinen Gehirne Techniken, um regelmäßig größere Huftiere zu erbeuten oder zumindest an der Beute großer Raubtiere zu partizipieren. Dabei sind die großen Bandwurmparasiten erstmals mit Menschen in Kontakt gekommen.
Krankheitserreger und Parasiten sind neben Fossilfunden eine wichtige Informationsquelle, die menschliche Evolution zu entschlüsseln. Sie bergen ungeahntes Forschungspotential für Paläoanthropologen. Thomas Kaiser, Leiter der Säugetierkunde im CeNak, erklärt, warum Bandwürmer den Wandel in der Ernährungsstrategie unserer frühesten menschlichen Vorfahren belegen.
Bandwürmer leben im Enddarm vieler Raubtiere, auch des Menschen. Sie sind wirtsspezifisch, was bedeutet, dass sie als erwachsene Tiere nicht außerhalb ihres Hauptwirtes überleben können. Beim Menschen kennt man drei wirtsspezifische Arten, den Rinderbandwurm, den Asiatischen Bandwurm und den Schweinebandwurm. Alle vollziehen einen Wirtswechsel und ihre als Finnen bezeichneten Jugendstadien müssen mit der Nahrung (meist dem Fleisch des Zwischenwirtes) aufgenommen werden.
Wie bei dem Schweine- und Rinderbandwurm werden diese größten Parasiten nach dem Zwischenwirt benannt, der meist ein Huftier ist. In seinem Gewebe überdauern die infektiösen Finnen. Da Bandwürmer wirtsspezifisch sind, sollte ihr Auftreten beim Menschen auch einen Hinweis darauf geben, seit wann der Zwischenwirt in nennenswertem Umfang auf dem Speisezettel steht. Wenn wir also wissen, seit wann Menschen die Wirte von Bandwürmern sind, können wir auch ableiten, wann unsere Vorfahren begannen, regelmäßig in größerer Menge Fleisch in Ergänzung ihrer vegetarischen Diät zu verzehren.
Weitere Erkenntnisse zur Evolutionsgeschichte des Menschen liefern Untersuchungen dazu, in welchen anderen Zwischenwirten nah verwandte Bandwurmarten vorkommen und wann sich deren evolutive Wege getrennt haben. Denn daraus können Forschende ableiten, welche Tiere die Frühmenschen verspeist haben und welche ökologische Rolle im Lebensraum der damaligen Zeit ihnen zukam.
Rind- und Schweinefleisch stand erst mit Beginn der Nutztierhaltung vor weniger als 10.000 Jahren regelmäßig auf dem Speisezettel. Daher lag zunächst der Schluss nahe, den Ursprung dieser Zoonose in der Epoche der Jungsteinzeit zu verorten und unsere Nutztiere als Reservoir und Quelle der Bandwurmfinnen zu vermuten. Dann müssten die menschlichen Bandwürmer einander genetisch sehr ähnlich sein, denn diese Zeit ist nur einen evolutiven Wimpernschlag vom Heute entfernt.
Mitochondriale Gene der Cytochrome c-Oxidase, die mit datierbaren Vergleichsdaten von anderen Arten als molekulare Uhren interpretiert werden können, belegen jedoch, dass die Trennung der Bandwurmlinien bereits zwischen 0,78 und 1,71 Million Jahren stattgefunden hat. Das war die Zeit, als erste Menschen von Afrika aus Asien erreicht hatten. Zudem sind die menschlichen Bandwürmer am nächsten verwandt mit Arten, die heute Hyänen, Löwen und Afrikanische Wildhunde parasitieren und deren Zwischenwirte Antilopen sind.
Somit belegen die Bandwürmer den Wandel in der Ernährungsstrategie unserer frühesten menschlichen Vorfahren, Homo habilis und Homo erectus, vom Vegetarier zum zeitweisen Raubtier. Offenbar war die Lebensweise dieser frühen Menschen der heutiger Hyänen recht ähnlich. Zu ähnlichen Schlüssen war man zuvor schon durch die Interpretation von Werkzeugspuren auf den Knochen von Beutetiere und Löwenrissen gelangt, die fast 2 Millionen Jahre alt sind.
Am CeNak werden die Abnutzungsspuren der Backenzähne aus dieser Zeit digitalisiert und mittels industrieller Texturparameter aus der Autoindustrie zur Rekonstruktion der Nahrungsbeziehungen eingesetzt. Es gibt also eine faszinierende Vielfalt ausgeklügelter Methoden, um die Lebensweise längst ausgestorbener Menschenarten zu verstehen und ihre ökologische Rolle einzugrenzen. Dieses Wissen erlaubt auch Zukunftsprognosen.
Homo erectus hat Afrika als erster Hominide vor etwa 1,8 Millionen Jahren verlassen und so auch die Vorfahren von Rinderbandwurm und Asiatischem Bandwurm aus Afrika heraus in die Alte Welt getragen. Viel später erst entsteht in Afrika der Homo sapiens und verlässt in mehreren Migrationswellen den Kontinent, wiederum mit Bandwürmern „im Gepäck“. So haben schließlich nicht die Haustiere den Menschen, sondern der Mensch hat seine Haustiere infiziert.
Quelle
Hoberg, E. P. Alkire, N.L. de Queiroz, A. und Jones, A. (2001) Out of Africa: origin of the Taenia tape worms in humans. Proc. R. Soc. Lond. B. 268(1469): 781–787. doi 10.1098/rspb.2000.1579
Kontakt
Prof. Dr. Thomas Kaiser
Abt. Mammalogie / Paläoanthropologie
Centrum für Naturkunde
Universität Hamburg
Tel.: +49 40 42838-7653
E-Mail: thomas.kaiser"AT"uni-hamburg.de