Dinoforschung am CeNak
9. April 2020
Handelt es sich bei der Hamburger Dinosauriergruppe um Mitglieder einer echten Familie, also um beide Elternteile und ihre Jungen? Haben Jung- und Alttiere überhaupt zusammengelebt? Und wovon haben sie sich ernährt? Die Stiftung Hagenbeck hatte Anfang des Jahres vier vollständige Skelette der erst jüngst entdeckten Dinosaurier Suuwassea für Hamburg gesichert. In Zusammenarbeit mit dem Centrum für Naturkunde (CeNak) sollen sie im Tierpark – und später hoffentlich – in einem neuen Hamburger Naturkundemuseum gezeigt werden. Jetzt werden die versteinerten Knochen der Langhalssaurier vom CeNak erforscht. Ein Gespräch mit Evolutionsbiologe und Gründungsdirektor Matthias Glaubrecht.
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Was wissen wir bislang über diese vier Dinosaurier?
Matthias Glaubrecht: Die vier etwa 150 Millionen Jahre alten Skelette aus der Jura-Zeit des Erdmittelalters stammen aus der Morrison-Formation, im Nordwesten der USA, im Bundesstaat Wyoming. Das größte Tier dürfte eine Gesamtkörperlänge von 15 Metern gehabt haben. Die Fossilien gehören zu Tieren der pflanzenfressenden Dinosauriergattung Suuwassea und wurden 2009 an ein und demselben Fundort ausgegraben. Aus diesen Fundumständen schließen Experten, dass es sich möglicherweise sogar um eine Art Familienverbund handeln könnte – was eine wissenschaftliche Sensation wäre.
Warum ist der Fund einer möglichen Familiengruppe so etwas Besonderes?
Matthias Glaubrecht: Bis zu dem Fund der vier Skelette wurden noch nie Überreste von Tieren der gleichen Dinosaurier als Gruppe gefunden; meist sind es nur einzelne Knochen oder Skelette von Tieren. Außergewöhnlich ist der damit verbundene Fund des Jungtieres, was zu neuen Hypothesen bezüglich der Aufzucht von pflanzenfressenden Dinosauriern, den Sauropoden, führt: Bislang ist man davon ausgegangen, dass sich Dinosaurier nach der Eiablage, ähnlich wie Meeresschildkröten, entweder gar nicht oder nur kurze Zeit, wie etwa Krokodile, um ihren Nachwuchs kümmerten.
Die vier nahe beieinander gefundenen Suuwaassea-Skelette unterschiedlichen Alters könnten nun ein neues Kapitel der Dinosaurierforschung eröffnen. Für die internationale Forschung ist diese einmalige "Hamburger Familie" ein großer Gewinn. In einer privaten Sammlung wäre dieser Schatz sicherlich sowohl für die Wissenschaftsstadt Hamburg als auch für internationale Forschungszwecke verloren gewesen.
Wie sehen die nächsten Schritte aus? Wie werden die Dinosaurierknochen erforscht?
Matthias Glaubrecht: Im vergangenen Jahr haben wir bereits beinahe sämtliche Originalknochen der vier Suuwaasea-Dinosaurier in hoher Auflösung fotogrammetrisch gescannt. Nun werden die bereits montierten Skelette erst einmal komplett abgebaut, da sie nach dem Kauf durch die Stiftung auch „umziehen“ müssen. Dabei können nun auch die wichtigen Großknochen, auf denen sie stehen, noch gescannt werden. Diese 3D-Scans sollen dann bei der wissenschaftlichen Erforschung der Urzeit-Tiere und ihrer Brut-Biologie helfen. Das ist also zuerst einmal wichtige Grundlagenermittlung an den Knochen selbst. Dann wollen wir zusätzlich die Einbettungsumstände an der Fundstelle in Wyoming näher untersuchen. Und schließlich soll die „Hamburger Familie“ wissenschaftlich korrekt und in einer zeitgemäßen Ausstellung den Besuchern in Hamburg präsentiert werden.
Nach welchen Gesichtspunkten untersuchen Sie die Fossilien?
Matthias Glaubrecht: Zunächst geht es darum, Fragen gleichsam zur Biografie der einzelnen Tiere zu klären, also anhand des Feinbaus ihrer Knochen etwa untersuchen, wie schnell sie gewachsen sind, wovon sie sich ernährt haben, wie die Jung- und Alttieren gelebt haben. Über die Geländearbeit wollen wir absichern, ob tatsächlich alle gemeinsam gelebt haben und gemeinsam zur gleichen Zeit und auf gleiche Weise zu Tode gekommen sind.
Was macht die Dinosaurier für Sie als Evolutionsbiologen so interessant?
Matthias Glaubrecht: Obwohl sie sehr wahrscheinlich durch die Folgen eines großen Meteoriteneinschlags ausgestorben sind, müssen wir Dinosaurier – entgegen ihres Images von großen, unangepassten Tieren, die deshalb verschwunden sind – als wahre Erfolgsmodelle der Evolution betrachten. Diese Urzeit-Tiere haben sich über 100 Millionen Jahre hinweg zu einer der dominierenden Tiergruppen des Erdmittelalters entwickelt. Sie haben – ähnlich wie später die Säugetiere, die es ja auch schon zur Zeit der Dinosaurier gab – eine enorme Formenvielfalt hervorgebracht. Und sich dabei auf unterschiedlichste Art und Weise an ihre jeweilige Umgebung angepasst, bevor es dann zum großen Massensterben vor 66 Millionen Jahren kam. Wir können also die ganze Spannbreite der Evolutionsvorgänge an ihnen beobachten, bis hin zu ihren – befiederten – Nachfahren, den heutigen Vögeln.