Ringelwurm-Abteilung im Homeoffice
2. April 2020
Foto: UHH/CeNak, Kerbl
Das Coronavirus stellt den Alltag auf den Kopf. Auch im CeNak hat sich der Kernbetrieb ins Homeoffice verlagert. Dr. Alexandra Kerbl, seit dem 1. November 2019 Leiterin und Kuratorin der nun eigenständigen Abteilung Annelida (Ringelwürmer), arbeitet seit dem 17. März von Zuhause aus. Im Interview erzählt sie, welche Einschränkungen sie dadurch hat, aber auch welche Chancen sich nun daraus für die Forschung ergeben.
Womit beschäftigt sich die Abteilung Annelida im CeNak?
Unsere Sammlung umfasst alle Ringelwürmer, also Meeresborstenwürmer, Blutegel, Regenwürmer und deren Verwandte, sowie Igel- und Spritzwürmer, die man lange für eigene Tierstämme gehalten hat. Mit einer Mischung aus morphologischen und molekularen Techniken bestimmen wir Arten und versuchen sie zu systematisieren.
Da die Annelida-Sammlung im CeNak bislang auf die zwei Kuratorien „Wirbellose I“ und „Wirbellose II“ aufgeteilt war, besteht eine unserer Hauptaufgaben darin, diese beiden Sammlungsteile zusammenzuführen. Mit meiner eigenen Forschung möchte ich dabei helfen zu erklären, wie ein Nervensystem mit weniger als 100 Zellen alles leisten kann, was der (sehr kleine) Wurm zum Leben braucht, während zum Beispiel ein Regenwurm oder generell größere, komplexere Tiere hierfür mehrere Tausend bis Millionen Nervenzellen benötigen. Speziell auf diesen Gebieten möchte ich mich auch weiterhin am CeNak einbringen.
Wie und wann kam es zu der Entscheidung, dass Sie mit ihrer Forschung ins Homeoffice umziehen?
Einige meiner Kolleginnen und Kollegen gehören zu der definierten Risikozielgruppe. Durch deren Initiative haben wir schon relativ früh angefangen uns Gedanken darüber zu machen, wie wir den Betrieb im Krisenfall weiterführen können. Als dann befreundete Kolleginnen und Kollegen von der kompletten Schließung der Universitäten in Dänemark und Österreich berichteten, war bald klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch wir in Hamburg betroffen sind. Also haben wir begonnen, unsere Mitarbeiterinnen und die Studierenden auf die kommende Situation vorzubereiten und Arbeitsaufträge dementsprechend anzupassen.
Welche Aufgaben können die Studierenden im Homeoffice übernehmen?
Wir arbeiten in der Sammlung mit Karteikarten, die so ähnlich funktionieren wie ein Personalausweis, auf dem alle uns bekannten Informationen zu den einzelnen Tieren verzeichnet sein sollten. Leider sind diese Informationen nur zu einem kleinen Teil digitalisiert. Insbesondere die Objekte, die über hundert Jahre alt sind, müssen noch in einer übergeordneten digitalen Datenbank zusammengeführt werden. Das ist eine Aufgabe, die gut im Homeoffice zu bearbeiten ist.
Bleiben Sie nun gänzlich Zuhause, oder ist der Gang ins CeNak weiterhin unvermeidbar?
Die Kuratorin für Krebstiere und ich fahren abwechselnd einmal die Woche ins CeNak. Ich muss meine lebenden Wurmkulturen mindestens einmal alle zwei Wochen füttern. Die Fütterungszeit ist mit der Leiterin der Tierhaltung abgestimmt, damit sich immer nur eine Person in den kleinen Räumen aufhält. Wir nutzen dann auch die Gelegenheit, um die Büroblumen zu gießen, die eingegangene Post zu sichten und in der Sammlung nach dem Rechten zu schauen. Wir achten dabei darauf, außerhalb der üblichen Stoßzeiten ins CeNak zu fahren, um unnötigen Kontakt zu vermeiden.
Was war das letzte Projekt, an dem Sie vor Ort im Labor arbeiten konnten?
Das letzte aktive Laborprojekt war die Bachelorarbeit einer Studentin, die ich gemeinsam mit Anne-Nina Lörz, der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Abteilung Crustacea (Krebstiere), betreue. Dabei untersuchen wir mit verschiedenen morphologischen Methoden vermutliche Sinnesorgane auf den Antennen eines kleinen Tiefseekrebses. Diese Organe sind nur bei einigen Krebsarten beschrieben. und wir wissen derzeit leider so gut wie nichts über ihre mögliche Funktion. Viele der Arbeitsschritte können wir momentan nicht umsetzen, da wir die Labore des CeNak und des Instituts für Zoologie im Moment nicht nutzen können.
Für Studierende ist das eine äußerst unbequeme Situation, da die Arbeiten in einem gesetzten Zeitrahmen ablaufen sollen, der mit den beteiligten Prüfern und Betreuern terminlich abgestimmt ist. Organisatorisch stellt uns das vor eine große Herausforderung. Wir sind aber sicher, dass wir einen guten Kompromiss finden.
Was fehlt Ihnen Zuhause?
Ich kann mich nicht beschweren, denn bei mir daheim habe ich eigentlich alles, was ich für das effektive Arbeiten von Zuhause aus brauche. Die gute Infrastruktur ist nicht zuletzt der Verdienst unserer IT-Abteilung, die uns in Rekordzeit eine funktionierende Arbeitsumgebung zur Verfügung stellen konnte.
Vielleicht fehlt mir zusätzlicher Platz, den ich am CeNak hätte. Außerdem dauern im Homeoffice alle Dinge etwas länger: statt einer kurzen Meldung in der Arbeitsgruppenrunde schreiben wir nun häufig längere E-Mails. Mein Glück ist, dass ich allein wohne und deshalb meinen Arbeitsplatz für mich habe und meine Zeit relativ frei einteilen kann. Kolleginnen und Kollegen mit Kindern oder größeren Familien haben da sicher einen höheren organisatorischen Aufwand zu bewältigen.
Wie ist die Stimmung unter den Forscherinnen und Forschern in Ihrem Team und wie gelingt die Zusammenarbeit?
Da unsere Kuratorien-Gruppen erst vor kurzem getrennt wurden, arbeiten Nancy Mercado Salas, die Kuratorin für Crustacea, und ich nach wie vor auch eng mit dem DZMB (Deutsches Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung) zusammen. Unsere Arbeitsgruppe besteht so aus etwa 20 Leuten, die thematisch im engen Austausch stehen, und jetzt telefonisch sowie auf digitalen Wegen gut miteinander vernetzt sind. Die Stimmung im Team ist positiv: Wir stehen auch weiterhin in engem Kontakt und schicken uns regelmäßige Updates aus allen Lebenslagen um uns auf dem Laufenden zu halten.
Gerade erst fand die GfBS-Tagung im CeNak statt, wo sich Forschende ganz eng austauschen konnten. Das ist derzeit undenkbar. Wie gelingt nun der Austausch miteinander?
„Work as usual“ ist noch nicht möglich. Wir brauchen alle erstmal Zeit, um uns in der ungewohnten Homeoffice-Situation zurecht zu finden. Ich tausche mich mit Kolleginnen und Kollegen vor allem darüber aus, welche alternativen Computerprogramme die morphologischen Untersuchungen – auch von zu Hause aus – weiterhin möglich machen. Leider stehen uns hier nicht alle Programme zur Verfügung, die wir im CeNak hätten.
Viele Kolleginnen und Kollegen sind aber auch Freunde, da ist der Austausch dann schon reger, vor allem um zu schauen, ob es auch allen gut geht. Da wir online Kontakt halten, rückt die Welt zusammen: eine E-Mail nach Russland, Frankreich oder die USA ist genauso schnell und unkompliziert, wie innerhalb der Stadtgrenze von Hamburg. Für mich also eine gute Gelegenheit, mit Leuten in Kontakt zu treten, von denen ich schon länger nichts mehr gehört habe.
Welche weiteren Chancen entstehen aus der Krise?
Wir haben die Chance die Digitalisierungsoffensive des CeNak tatkräftiger zu unterstützen. Jetzt können sich viele Mitglieder unseres Teams mit der Bearbeitung der bereits angesprochenen Karteikarten beschäftigen. Diese Tätigkeit wird häufig im regulären Betrieb etwas zurückgestellt, da viele Aufgaben innerhalb unserer Sammlung eine höhere Priorität für uns haben. Meine eigene Forschung setzt ebenfalls hauptsächlich die Arbeit am Computer voraus. Hier habe ich nun die Chance, in Ruhe weiterzuarbeiten – ohne mich von Laborarbeit ablenken zu lassen.
Welchen Tipp haben Sie für andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nun von Zuhause aus arbeiten?
Sich nicht unterkriegen und entmutigen lassen! Im Moment ist es für uns alle schwer, weil die Lage noch so ungewiss ist. Niemand weiß derzeit genau, wann auch größere Veranstaltungen wieder gefahrlos stattfinden können. Forschungsreisen wurden verschoben und auch geplante Lehrveranstaltungen müssen neu strukturiert werden. Aber so lange wir, unsere Familien und Freunde gesund sind gibt es derzeit einfach größere Probleme auf der Welt. Ich freue mich jetzt schon sehr darauf, Kolleginnen und Kollegen „in echt“ wiederzusehen, wenn die Beschränkungen wieder aufgehoben werden!
Kontakt
Dr. Alexandra Kerbl
Leitung, Abt. Annelida
Centrum für Naturkunde
Universität Hamburg
Tel.: +49 40 42838-3918
E-Mail: alexandra.kerbl"AT"uni-hamburg.de