Mit Bernsteininsekten zurück in die Urzeit
27. August 2019
Foto: UHH/CeNak, Siemers
Über Röntgenmikrotomographie bekommt die Wissenschaft ganz neue Bilder und Informationen zu Spinnen und Insekten, die vor Jahrmillionen in Bernstein eingeschlossen wurden.
Sie sind Zeitkapseln aus der Urzeit: Winzige, in Bernstein eingeschlossene Tiere liefern Informationen aus einer Zeit, in der in Mitteleuropa subtropische bis tropische Klimaverhältnisse herrschten. Vor Jahrmillionen luftdicht in flüssiges Harz eingeschlossen, blieben Bewegungen und körperliche Details der Lebewesen bewahrt. Über Röntgenmikrotomographie beim Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY wollen jetzt Wissenschaftler u.a. des CeNak genauere Informationen über in Bernstein eingeschlossene Spinnentiere und Insekten erhalten. Sie sollen Rückschlüsse auf das Klima und Leben früherer Ökosysteme sowie über Verwandtschaftsverhältnisse der Arten liefern.
Die Wälder des Paläogen vor 40-50 Millionen Jahren, aus denen das Harz stammt, existierten unter völlig anderen klimatischen Bedingungen. „Anhand der hochaufgelösten, dreidimensionalen Scans können wir die in Bernstein eingeschlossenen Tiere genauer identifizieren und ihre Ansprüche an Umwelt und Klima früherer Ökosysteme besser verstehen“, beschreibt der Paläontologe Ulrich Kotthoff ein Ziel des Projektes. „So können wir auch Rückschlüsse auf klimatische Veränderungen unserer Zeit und deren Einfluss auf Lebensräume und -gemeinschaften ziehen.“
Einzigartige Bernstein-Spinnentiere
Weiterhin helfen die detailreichen Bildgebungen, die Evolution und die Diversitätsentwicklung der Spinnentiere nachzuvollziehen. „Wir schauen uns zum Abgleich der Arten auch noch ältere, etwa 90 Millionen Jahre alte Bernsteine an.“ Ulrich Kotthoff leitet das Geologisch-Paläontologisches Museum am CeNak. Hier ist eine einzigartige Sammlung u.a. von Spinnentieren in Baltischem und Bitterfelder Bernstein archiviert, die jetzt z.T. beim DESY in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG) gescannt werden.
In die Forschungsprojekte sind Kolleginnen und Kollegen der Arachnologie und der Entomologie des CeNak involviert. Außerdem beteiligen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Institute wie dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander König in Bonn und dem Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum in Frankfurt.
Vermutlich subtropische Bedingungen in Mitteleuropa
Im Rahmen eines weiteren Projekts wollen die Wissenschaftler sowohl Larven als auch ausgewachsene Insekten wie Gottesanbeterinnen, Heuschrecken und Wanzen beim DESY scannen. Vor allem die in Bernstein eingeschlossen Larven lassen sich mit konventionellen Methoden nur schwer bestimmen. Die 180-Grad-Scans, so hofft Kotthoff, bieten hingegen die Möglichkeit, morphologische Merkmale besser zu erkennen und Verwandtschaftsbeziehungen fossiler und heute lebender Insekten zu klären.
„Es ist uns bereits gelungen, eine bisher noch nicht nachgewiesene Spinnentierfamilie in Bitterfelder Bernstein nachzuweisen, die heute in Europa nicht mehr vorkommt“, erzählt Kotthoff begeistert. Bei Bitterfeld liegt eines der bedeutenden Bernsteinvorkommen, das die Forscher am CeNak besonders interessiert. „Der Fund deutet, ebenso wie die von uns untersuchten Gottesanbeterinnen, darauf hin, dass wir hier in Mitteleuropa deutlich wärmere, vermutlich subtropische Bedingungen hatten. Wenn es uns gelingt, gerade die kleinen Spinnentiere und Insekten genauer zu bestimmen, können wir die Klimabedingungen noch genauer abschätzen und auch die Artenvielfalt der Bernsteinwälder viel besser erfassen.“
Kontakt
Dr. Ulrich Kotthoff
Leitung Geologisch-/Paläontologisches Museum
Centrum für Naturkunde
Universität Hamburg
Bundesstraße 55
20146 Hamburg
Tel.: +49 40 42838-5009
E-Mail: Ulrich.Kotthoff@uni-hamburg.de(ulrich.kotthoff"AT"uni-hamburg.de)