»Dellen« im Tiefseeboden: Beutejagd am Meeresgrund?
10. April 2019
Foto: Ocean Floor Observation and Bathymetry System (OFOBS) / A. Purser, L. Hehemann, U. Hoge, F. Wenzhöfer
Sieht aus wie ein Acker, nur in 4.000 Meter Tiefe: Die Einkerbungen im Sediment sind in dem 3-D-Modell gut zu erkennen.
Vor der peruanisch-chilenischen Küste im Atacamagraben haben Messgeräte und Kameras bei einer Expeditionsfahrt außergewöhnliche »Dellen« auf dem Meeresgrund registriert. CeNak-Walexpertin Helena Herr vermutet Beutejäger hinter dem Phänomen. Eine Auswertung der Daten ist in der internationalen Open Access-Zeitschrift Royal Society Open Science erschienen.
An den Stellen, an der empfindliche akustische Messgeräte die Einkerbungen auf dem Meeresboden erfassten, ist der Pazifik etwa 4.000 Meter tief. Die Daten wurden im März und April 2018 an Bord des Forschungsschiffes RV Sonne während geophysischer Vermessungen von Autun Purser vom Alfred Wegener Institut, Helmholtzzentrum für Polar und Meeresforschung gesammelt. Auf parallelen Videoaufnahmen konnte eine der Vertiefungen zufällig auch visuell erfasst werden.
Geologischer Ursprung der Vertiefungen?
Die Vertiefungen im Sediment sind jeweils ungefähr 55 cm breit und 1,5 bis 2 Meter lang. Sie sind in Reihen vorhanden, der Abstand zwischen den einzelnen Bodenvertiefungen beträgt bis zu 8,5 Meter. »Wir konnten während der Datenanalyse ausschließen, dass die »Dellen« im Meeresboden geologischen oder ozeanographischen Ursprungs sind«, erklärt Walforscherin Helena Herr. Gemeinsam mit einem Team internationaler Kollegen hat sie die während der Sonne-Expedition gesammelten Daten ausgewertet und im Beitrag »Depression chains in seafloor of contrasting morphology, Atacama Trench margin: a comment on Marsh et al. (2018)« mit den Hypothesen von Forschungsfahrten in die Clarion-Clipperton-Bruchzone verglichen.
Nur wenige Wale können so tief tauchen
Eine bei diesen vorherigen Forschungsfahrten (Marsh et al., R. Soc. open sci.5: 180286) aufgeworfene These ist, dass die schon damals festgestellten »Dellen« auf dem Pazifikboden mit dem Vorkommen von Manganknollen verknüpft sind. Das Forschungsteam um Helena Herr vermutete hingegen rasch, dass die Vertiefungen sehr wahrscheinlich biologischen Ursprungs sind, also auf Tiere zurückgehen. Die Regelmäßigkeit und Form der bei der Expedition erfassten Einkerbungen, »deuten darauf hin, dass es sich um ein Individuum handelt, das möglicherweise auf Beutesuche war«. Insgesamt war die untersuchte Strecke 2,5 Kilometer lang. »Da die Vertiefungen sehr groß sind, konnten wir die meisten Tiergruppen aber von vornherein ausschließen«, erklärt Helena Herr.
Fische, die aus diesen Bereichen der Tiefsee bekannt sind, sind meistens klein, langsam schwimmend - und kommen vor allem kaum mit dem Meeresboden in Kontakt. Naheliegende Verdächtige hingegen sind tieftauchende Wale. Unter diesen kommen wiederum nur einige Arten in Frage, da die wenigsten so tief tauchen können.
Nur Pottwale und verschiedene Schnabelwalarten sind Tieftaucher. »Sowohl Schnabelwale als auch Pottwale ernähren sich hauptsächlich von Tintenfischen aus der Tiefsee«, sagt Walexpertin Helena Herr. Die größte Tiefe, in der je ein Säugetier nachgewiesen konnte, liegt für Cuvier’s Schnabelwale (Ziphius cavirostris) bei rund 3.000 Metern.
Jagd am Pazifikboden
Rein physiologisch sind die Tiere aber auch zu Tauchgängen auf 4.000 Metern fähig. Helena Herr vermutet, dass für die Spuren am Meeresboden nicht nur deshalb am wahrscheinlichsten Schnabelwale verantwortlich sind: »Der Abstand der einzelnen Spuren entspricht in etwa ihrer Körperlänge.« Möglicherweise jagen die Tiere opportunistisch auf ihren tiefen Tauchgängen benthische Organismen, also Lebewesen am Meeresgrund wie Krustentiere, bodenlebende Fische oder Muscheln. Dabei hinterlassen sie im Meeresboden die »Dellen«.
Normalerweise ernähren sich die Wale wohl aus der Wassersäule, aber wenn die Erträge dort nicht besonders reichhaltig waren, könnten die Bodenorganismen den Tauchgang lohnend machen. Von verschiedenen Arten, auch Delphinen, ist eine gelegentliche benthische Nahrungssuche beobachtet worden. »Auch Sand in den Mägen von etwa Pottwalen weist darauf hin, dass die Tiere teilweise nah am Boden jagen.«
Weitere Informationen
Forschungsabteilung Mammalogie / Paläoanthropologie
Kontakt
Dr. Helena Herr
Universität Hamburg
Centrum für Naturkunde
Martin-Luther-King-Platz 3
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Tel.: +49 40 42 838-1560
E-Mail: Helena.Herr"AT"uni-hamburg.de