Alexander von Humboldt und die Anfänge der Pflanzengeografie
21. März 2019
Foto: Scan Herbarbogen: Herbarium, Botanischer Garten und Botanisches Museum Berlin, Freie Universität Berlin
Spathodea laurifolia Kunth, ein Trompetenbaumgewächs, gesammelt von Humboldt und seinem Begleiter Bonpland in Venezuela.
Mit dem „Naturgemälde der Anden“ macht Alexander von Humboldt die Pflanzengeografie populär. Wie lesen wir heute diese epochale Darstellung, die an eine moderne Infografik erinnert? Welche Rolle spielt sie in der Ausstellung? Die wissenschaftlichen Berater der Sonderausstellung „Humboldt lebt!“ im Botanischen Garten und im Loki Schmidt Haus ordnen Humboldts Erkenntnisse für die Botanik ein und erzählen, was die Besucherinnen und Besucher erwartet.
Wie können wir heute Humboldts „Naturgemälde der Anden“ lesen? Wieso ist es so bedeutend?
Petra Schwarz:
Im „Naturgemälde der Anden“ verbindet Alexander von Humboldt Perspektiven von Kunst und Wissenschaft. Er fasst botanische, topografische und Klimadaten in einer gemeinsamen Darstellungsform zusammen. Es gelingt ihm, diese unterschiedlichen Faktoren in ihrer Vernetzung deutlich zu machen.
Auch 200 Jahre nach seinem Entstehen hat dieses Naturgemälde nichts von seiner fesselnden und beeindruckenden Art eingebüßt. Indem das Auge, vom Gesamteindruck gefangen, zwischen Bild- und Textelementen wechselt, lassen sich Klima- und Vegetationsstufen ebenso wie die Verteilung der Pflanzenarten erfassen. Hier münden beispielhaft die Ergebnisse genauen Beobachtens und Messens, sorgfältigen Sammelns und Dokumentierens sowie zusammenhängenden Denkens und Auswertens in eine ausdruckstarke Visualisierung.
Ich möchte dazu anregen, sich mit dieser Art der Darstellung analytisch auseinanderzusetzen. Wir können daraus so manchen Hinweis entnehmen, wie sich heute Forschungsergebnisse komplexer Art, zum Beispiel zum Klimawandel, in ansprechender und intuitiv lesbarer Form vermitteln lassen.
Was erfahren wir im Loki Schmidt Haus über Humboldts Pflanzenforschung?
Petra Schwarz:
Im Loki Schmidt Haus werden mit zwei großformatigen Wandinstallationen die Dimensionen Humboldt´scher Forschung erkennbar.
Humboldt veröffentlichte in seinen botanischen Werken 1.260 Abbildungen einzelner Pflanzen. Eine einmalige Montage verdeutlicht, wie Humboldt die von ihm und seinen Mitarbeitern dokumentierten Pflanzen in das von Carl von Linné begründete System der Natur integrierte. Das übergroße „Naturgemälde der Anden“ macht eindrucksvoll den Schritt Humboldt´s zur „Geographie der Pflanzen“ sichtbar. Auch ethische Fragen botanischer Forschung und Folgen der Anwendung solchen Wissens bis in unsere Tage werden in der Ausstellung thematisiert.
Wie beurteilen Sie Humboldts Forschungsleistung für die Botanik? Inwiefern hat Humboldt auch für andere Forschungsdisziplinen angeregt?
Matthias Schultz:
Humboldts Leistungen für die Botanik insgesamt kann man gar nicht unterschätzen. Seiner Beobachtungsgabe und seiner akribischen Sammeltätigkeit verdanken wir die erste Beschreibung und Kategorisierung der so reichen Pflanzenwelt der Neotropen vom Regenwald bis in die Anden. Diese Leistung steht ebenbürtig neben seinen Verdiensten für die Pflanzengeographie. Ja, beide Felder hängen auf engste miteinander zusammen. Denn in der wissenschaftlich exakten Beschreibung und Systematisierung der Arten sind immer auch die artspezifischen Merkmale als Ausdruck und Ergebnis der Anpassung an die Umweltbedingungen und deren Wandel im Laufe evolutiver Zeitspanne enthalten.
Humboldt hat nicht nur selbst geforscht und publiziert, er war auch ein sehr geschickter Organisator. So konnte er z.B. Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen für die Bearbeitung der vielen Teile eines seiner Hauptwerke der „Reise in die Äquinoktialgegenden“ gewinnen. Darunter war natürlich sein Reisebegleiter, der Botaniker Bonpland, aber auch Carl Sigismund Kunth, der nach Willdenows frühem Tod den Großteil der Bearbeitung der vielen gesammelten Pflanzen übernahm, oder der englische Botaniker Sir William Jackson Hooker, der die Niederen Pflanzen revidierte. Hinzu kamen Zoologen, Physiker und Astronomen, Chemiker und Mathematiker wie Cuvier, Latraille, Gay-Lussac, Arago, um nur einige zu nennen. Humboldt organisierte also ein Netzwerk zur wissenschaftlichen Auswertung der von ihm und Bonpland zusammengetragenen Sammlungsobjekte, Beobachtungen und Messungen. Sein Ansatz war in dieser Breite neu aber auch notwendig, um dem eigenen Anspruch nach einer umfassenden Sicht auf die Dinge der Natur zu genügen. Heute gehören Kooperation und Interdisziplinarität zu den Grundprinzipien in der Wissenschaft und damit auch zu Humboldts Erbe.
Insgesamt haben Humboldt und sein Begleiter Bonpland in Südamerika über 6.000 Pflanzen gesammelt. Was ist aus ihnen geworden, was sehen wir davon in der Ausstellung?
Matthias Schultz:
Die von Humboldt und Bonpland gesammelten Pflanzen liegen bis heute zu etwa gleichen Teilen im Herbarium des Naturhistorischen Museums in Paris sowie im Herbarium des Botanischen Gartens und Botanischen Museums in Berlin-Dahlem. Viele der getrockneten Pflanzen sind sogenannte Typusbelege, sind also die Objekte, nach denen neue Pflanzenarten erstmals wissenschaftlich beschrieben wurden. Für die taxonomische Forschung und für die Stabilität der wissenschaftlichen Pflanzenbenennung sind diese Typusbelege bis heute von größtem Wert. In der Ausstellung sehen wir zwei solche Herbarbelege, gesammelt von Humboldt und Bonpland 1799 in den Wäldern um Cumana im Norden Venezuelas. Beide Belege wurden uns dankenswerter Weise durch die Kollegen des Botanischen Gartens und Botanischen Museums in Berlin-Dahlem zur Verfügung gestellt. Dort wird das Herbarium von Carl Ludwig Willdenow aufbewahrt. Er war Direktor des Botanischen Gartens in Berlin und einer der angesehensten Botaniker seiner Zeit. Humboldt hatte sich mit Willdenow angefreundet, wurde dessen Schüler. Und so war es Willdenow, der sich auf Humboldts Bitte mit der monumentalen Aufgabe befasste, das aus Amerika mitgebrachte Herbarmaterial zu untersuchen. Als Willdenow 1811 erkrankte und von Paris nach Berlin zurückkehren musste, brachte er auch die von uns gezeigten Pflanzen mit.
Was erwartet uns im Botanischen Garten? Was sind die Highlights der Ausstellung?
Stefan Rust:
Entlang eines „Humboldt-Pfads“ im Freigelände des Botanischen Gartens geben wir Einblicke in wichtige „Stationen“ des wissenschaftlichen Lebens von Alexander von Humboldt. An jeder der chronologisch angeordneten Stationen erfahren die Besucherinnen und Besucher, was Humboldt angetrieben und in welchem „Umfeld“ er sich dabei bewegt hat.
Gleich nach dem Betreten des Freigeländes beschreibt eine erste Station Humboldts Fernweh und lädt die Besucherinnen und Besucher ein, Humboldt auf seiner Reise und durch sein Leben zu begleiten, beginnend mit den Reisevorbereitungen in Europa und dann … – Aber kommen Sie selber in den Botanischen Garten und folgen Sie dem Humboldt-Pfad durch Bambuswäldchen und attraktiv gestaltete Beete bis hin zum Loki Schmidt Haus. Vor Wind und Wetter geschützt bietet es die Möglichkeit, einen ganzen Fächer zum faszinierend vielfältigen Leben des letzten Universalgelehrten zu entfalten.
Wie bringen Sie denn die „Botanik in Bewegung“?
Stefan Rust:
Für uns stellt sich weniger die Frage, wie wir die Botanik in Bewegung bringen, denn das hat Alexander von Humboldt bereits für uns getan, indem er den Blick der Naturwissenschaften auf die Welt auf seine brillante Weise erweitert und verändert hat. Dabei muss man bedenken, dass er in einer Zeit lebte, in der berühmte Zeitgenossen eine neue Ordnung in die Biologie brachten, wie Carl von Linné mit der Einführung einer weltweit einheitlichen wissenschaftlichen Benennung aller Lebewesen, oder das bisherige Weltbild sogar weit über die Grenzen der Biologie grundlegend erschütterten, wie Charles Darwin mit seiner Evolutionstheorie.
Aber um noch einmal im wörtlichen Sinne auf Ihre Frage zurückzukommen: Dadurch, dass wir die Stationen Alexander von Humboldts in die Anlagen im Freigelände des Botanischen Gartens einbetten, „müssen“ sich die Besucherinnen und Besucher durch die Welt der Pflanzen bewegen – ganz so, wie Humboldt auf seinen Reisen. Und je nach Wetter bringen Wind, Regen und hoffentlich auch viel Sonne die Botanik zusätzlich in Bewegung.
Dr. Petra Schwarz ist Leiterin des Loki Schmidt Hauses
Dr. Matthias Schultz ist Oberkustos des Herbarium Hamburgense
Stefan Rust ist Kustos des Loki-Schmidt-Gartens / Botanischer Garten der Universität Hamburg
Mehr zur Sonderausstellung "Humboldt lebt!" im Zoologischen Museum, Botanischen Garten und Loki Schmidt Haus: https://www.cenak.uni-hamburg.de/ausstellungen/museum-zoologie/humboldt-lebt.html