Alexander von Humboldt: Ein Naturforscher zwischen Legende und Wahrheit
28. Februar 2019
Foto: „Naturgemälde der Anden“, Tübingen, J.G. Cotta 1807
In seinem „Naturgemälde der Anden“ mit dem Chimborazo erfasst Humboldt die Klima- und Vegetationsstufen – eine moderne Infografik.
Alexander von Humboldt war schon zu Lebzeiten eine Legende. Er war eine schillernde Persönlichkeit und ein Künstler der Selbstinszenierung. Auch wenn sein wissenschaftliches Werk einzigartig ist, hat die Nachwelt den deutschen Naturforscher vielfach heldenhaft überhöht. Die Kuratoren der „Tiere in den Tropen" unserer kommenden Sonderausstellung „Humboldt lebt!“ schauen, wieviel Wahrheit hinter dem Mythos steckt. Autor Peter Korneffel spürt Humboldt in Hamburg auf und CeNak-Direktor Matthias Glaubrecht hinterfragt dessen Rolle als „Weltstar der Wissenschaft“.
Ach so, Humboldt lebt also?
Peter Korneffel:
Humboldt lebt länger und lauter, als man in Hamburg glauben mochte. Hier in der Hamburger Börsenhalle hatte man ihn am 12. Juni 1804 für tot erklärt. Schwarz auf weiß stand im "Hamburger Correspondent" zu lesen, dass der von seiner Amerikareise so sehnlichst zurück erwartete Humboldt plötzlich in Acapulco am Gelbfieber gestorben sei. Zum großen Glück hatten sich die Hamburger geirrt: Humboldt lebt! Und wir zeigen Ihnen jetzt, wie er in uns heute weiter lebt.
Was hatte Humboldt denn mit Hamburg zu tun?
Peter Korneffel:
Eine ganze Menge. Zu seiner ambitionierten und breiten Ausbildung gehört ganz wesentlich das Studium an der privaten Handelsakademie in Hamburg. Hier lernte er bei dem berühmten Johann Georg Büsch acht Monate lang das Kaufmännische und die Empirie. Humboldt selbst empfand diesen Aufenthalt "angenehm und lehrreich". Hamburger Bankleute halfen Joseph Mendelssohn dann acht Jahre später, den König von Spanien von der finanziellen Unabhängigkeit Humboldts zu überzeugen. Und natürlich verschickte Humboldt immer wieder Sammlungen aus Amerika über Hamburg.
Es wird immer unterstellt, Humboldt sei der Wegbereiter Darwins. Wie sehen Sie das als Evolutionsbiologe?
Matthias Glaubrecht:
Humboldt hat versucht, die Welt zu vermessen und alle Daten und Fakten über ihre Natur zusammenzutragen. Dabei ist er selbst viel weniger „Entdecker“ als lange unterstellt. Weder ist er der „zweite Entdecker Südamerikas“ noch ein Vordenker der von Charles Darwin und Alfred Russel Wallace erst Jahrzehnte später entwickelten Theorie einer Evolution durch Selektion. Das von Humboldt erklärte Naturverständnis wurde spätestens in seinem Todesjahr 1859 von Darwins Evolutionstheorie abgelöst.
Humboldt hat aus seinen Messungen und Beobachtungen keine Gesetzmäßigkeit entwickelt. Darwin hingegen ging über das bloße Beschreiben und Spekulieren hinaus. Wir verdanken ihm tiefe Einsichten. Etwa die, dass die belebte Natur eben nicht im Gleichgewicht, sondern im steten Umbruch ist, so wie der ganze Globus und das Weltall selbst.
Welche Bedeutung hat Humboldt für die Zoologie?
Matthias Glaubrecht:
Tatsächlich müssen wir feststellen, dass Anschauung und Aufzeichnungen, Beobachtungen und Messungen vor Ort während der Reisen viel mehr das Fundament für Humboldts spätere Forschungen und Veröffentlichungen bilden, als seine Sammlungen von Naturalien.
Seine zoologischen Funde dokumentiert Humboldt in bisher wenig beachteten Zeichnungen – wir zeigen einige dieser wirklich beeindruckenden Werke in unserer Ausstellung – zusammen mit Objekten, die er damals gesehen hat. Viele seiner Proben aus Südamerika gehen auf der Reise jedoch verloren oder liegen heute, meist unerkannt, in verschiedenen Sammlungen Europas.
Kann man Humboldt als Begründer der Ökologie bezeichnen? Was war neu an seinem Blick auf die Natur?
Matthias Glaubrecht:
Mit dem „Naturgemälde der Anden“ – dem bekannten Querschnitt durch das Andenprofil mit horizontal gestaffelten Vegetationszonen – machte Alexander von Humboldt die Pflanzengeografie populär und trug zur späteren Begründung der Ökologie bei. Er ist ein Vordenker der Ökologie, lange bevor der Begriff an sich geprägt wurde (1866 durch Ernst Haeckel als Lehre vom Haushalt der Natur).
Indem er die Natur als Kosmos begriff, in dem vom Winzigsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist, hat er die Grundlage für unser heutiges Verständnis einer vernetzten Umwelt gelegt.
Allerdings war Humboldt letztlich weitaus weniger modern und fortschrittlich als bisher geglaubt. Seine Vorstellung eines harmonisch geordneten Kosmos und einer auf Schönheit und Gleichgewicht ausgerichteten Natur wurzeln letztendlich im aus der Antike stammenden abendländischen Denken und einer unter anderem auch von Goethe und Schiller geprägten Romantik des ausgehende 18. Jahrhunderts.
Wie hat Humboldt geforscht? Wie war es überhaupt damals, als Wissenschaftler auf Reisen zu sein?
Peter Korneffel:
Humboldt war ein "Getriebener", wie er selber sagte, voll Sehnsucht nach den Tropen. Er war jung, vielfältig gebildet, empathisch und in seinem Drang nach dem "Großen und Guten" kaum zu bremsen. Dank des stattlichen Erbes seiner Familie konnte er sich neuste Instrumente kaufen und die große Reise selbst finanzieren. Er war besessen vom Messen und beseelt vom Beobachten. Dadurch wollte er verstehen und die Dinge – er meinte alle Dinge –zusammen fügen. Die Amerika-Reise war dennoch in großen Teilen Improvisation und ein hoch riskantes Unternehmen. Es grenzt an ein Wunder, dass er sie überlebt hat.
Für wen ist die Ausstellung interessant?
Peter Korneffel:
Für alle, die glauben, dass in unserer Welt noch nicht oder nicht mehr alles zusammenpasst und die diesem manchmal etwas durchgeknallten Natur- und Kulturforscher Alexander von Humboldt zutrauen, dass er da auch heute noch etwas Licht reinbringen kann.
Mehr zur Ausstellung im Zoologischen Museum, Botanischen Garten und Loki Schmidt Haus:
https://www.cenak.uni-hamburg.de/ausstellungen/museum-zoologie/humboldt-lebt.html