Warum Kunst und Natur zusammen gehörenEin Interview mit Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Direktor des CeNak und wissenschaftlicher Berater der Ausstellung „Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald“
26. September 2017
Foto: ReassemblingNature.org
Die Bronzestatue von Alfred Russel Wallace vor dem Natural History Museum, London.
Künstlerische Auseinandersetzungen mit der Natur gehören für Matthias Glaubrecht unbedingt in ein Naturkundemuseum. Die Ausstellung „Verschwindende Vermächtnisse: Die Welt als Wald“ sieht er als ideale Ergänzung zu der Anthropozän-Ausstellung im neuen Foyer des Zoologischen Museums. Im Interview spannt er den Bogen von den Forschungsreisen Alfred Russel Wallace in die tropischen Regenwälder vor eineinhalb Jahrhunderten zu der radikalen Dezimierung der Artenvielfalt und der natürlichen Lebensräume, die in den künstlerischen Werken gespiegelt werden.
Warum zeigen Sie Kunst im Naturkundemuseum?
Forscher und Künstler sind ja sehr wesensverwandt; beide sind unstillbar neugierig und davon getrieben, Neues zu erkunden – und das jeweils auf ihre Weise auch dar zu stellen. Tatsächlich sollten wir Wissenschaft und Kunst nicht streng voneinander trennen. Deshalb gehört Kunst für mich eigentlich selbstverständlich auch in ein Naturkundemuseum.
Künstlerische Verfahren kommen überall in den Wissenschaften vor, gerade auch in der naturkundlichen Forschung. Schon immer gab es und gibt es gerade heute vielfältige Beziehungen und Einflüsse, in denen sich Künstlerinnen und Künstler aller Epochen mit der Natur in all ihren Facetten auseinandergesetzt haben. Das ist insofern kein Wunder, als die Natur für den Menschen neben seiner selbst der wohl wichtigste Bezugspunkt seines Wesens ist. Wir vergessen das nur immer öfter, je mehr ein steigender Anteil der Menschheit den unmittelbaren tagtäglichen Kontakt mit der Natur – insbesondere in den wachsenden Metropolen und Megacities – verliert. Auch deshalb ist es wichtig, künstlerische Darstellungen und Auseinandersetzungen mit der Natur in unserem Museum zu zeigen; noch dazu, wenn es um so ein überlebenswichtiges und hochaktuelles Thema wie das Anthropozän geht – also ein neues, vom Menschen dominiertes Erdzeitalter.
Was zeigt uns die Beschäftigung mit Wallaces Naturforschung?
Alfred Russel Wallace war – neben Darwin und Humboldt – meiner Einschätzung nach einer der wichtigen und maßgeblichen Naturforscher des 19. Jahrhunderts. Er hatte das Glück, gleich zwei der wichtigsten und artenreichsten Lebensräume der Erde auf mehrjährigen abenteuerlichen Expeditionen zu bereisen – erst die Amazonas-Region mit den damals noch ausgedehnten tropischen Regenwäldern und einer der biodiversesten Flusslandschaften der Erde, dann die indo-malaiische Inselwelt zwischen Asien und Australien mit einer unendlich artenreichen und vielfältigen Fauna und Flora. Nicht nur seine überreichen Sammlungen an neuen und bis dahin unbekannten Tierarten haben ihn berühmt gemacht; auch seine Reise- und Forschungsberichte haben eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung unserer heutigen Vorstellungen von der Evolution von Arten, ihrer Vorkommen und Verbreitung gespielt. Zugleich zeigen uns Wallace‘ Forschungen und Reisen, wie sehr wir Menschen die Natur gerade in diesen beiden Regionen der Erde verändert haben – und zwar keineswegs zum Besten der dort lebenden Tiere.
In unserer Ausstellung wird Wallace also zum Spiegel auch für jene Veränderungen in der Natur, die wir Evolutionsbiologen mit wachsender Sorge verfolgen.
Wo berühren sich die Forschung im CeNak und die künstlerischen Arbeiten?
Wir untersuchen am CeNak die Entstehung und Verbreitung von Tier-Arten; dabei spielen gerade jene Regionen, in denen Wallace über Jahre unterwegs war, eine wesentliche Rolle, zum Beispiel die Inseln Borneo und Sulawesi. Keinem Biodiversitäts-Forscher, aber auch keinem anderen, der heute dort unterwegs ist, entgehen die gewaltigen Veränderungen, die seit einigen Jahrzehnten gerade die Natur dort betrifft. Dabei verschwinden viele Lebensräume - und mit ihnen die dort lebenden Arten, neben Orang-Utan und Tiger insbesondere die zahllosen farbenprächtigen Schmetterlinge und andere Insekten sowie die vielen faszinierenden Vogelarten. Die künstlerischen Arbeiten, die wir nun erstmals im CeNak zeigen, setzen sich genau mit diesen Themen – der Vielfalt und Faszination, aber auch dem Verlust der Arten – auseinander.
Was kann das CeNak gegen das große Sterben der Arten tun?
Unsere Aufgaben dabei sind vielfältig: Zum einen erforschen wir Artenvielfalt, ihr Werden, aber auch ihr Vergehen. Zum anderen erklären wir Natur und vermitteln naturkundliches Wissen – in Veröffentlichungen, Vorträgen und eben auch in unseren Ausstellungen.
Die Aufklärung hier bei uns darüber, was derzeit dort in der Natur gerade dieser artenreichen Erdregionen passiert, ist für uns ein wichtiger Beitrag, ja die Grundlage für den hoffentlich raschen Schutz der Artenvielfalt im Amazonas und dem indo-malaiischen Archipel. Auch wir hier zuhause haben es in Zeiten der vieldebattierten Globalisierung in der Hand, was dort auf der anderen Seite der Erde geschieht.
Könnte man die Ausstellung aus Ihrer Perspektive auch als Anthropozän-Ausstellung sehen?
Der Begriff des Anthropozän – er wurde übrigens erst im Jahr 2000 von einem Atmosphärenforscher geprägt – hat ja erstaunlicherweise seitdem vor allem in den Kulturwissenschaften eine erstaunliche Karriere gemacht. Er ist dabei – ich will nicht sagen: gekapert worden, aber sicherlich mit vielfältigen Bedeutungsinhalten aufgeladen worden, was nicht immer hilfreich ist.
Für mich als Evolutionsforscher ist das Anthropozän in erster Linie ein wichtiges geowissenschaftliches Forschungskonzept. Es fasst viele Aspekte in einer griffigen Formel zusammen, deren Auswirkungen wir derzeit auch in der Biodiversitätsforschung und im Arten- und Naturschutz beobachten.
Die künstlerische Wallace-Ausstellung zu den „Verschwindenen Vermächtnissen“ ergänzt daher auf wunderbare Weise den erst 2017 neu gestalteten Ausstellungsteil im neuen Foyer-Bereich des Zoologischen Museums, wo vieles zu den Hintergründen und Zusammenhängen der Anthropozän-Forschung beleuchtet wird, etwa wie die wachsende Weltbevölkerung die Lebensmöglichkeiten vieler Tierarten beschränkt; oder warum wir durch unsere Vorliebe für Nutella und Fleisch dazu beitragen, dass die tropischen Regenwälder in Brasilien und in Indonesien ungebremst schrumpfen.
Beide Teile zusammen – unsere Anthropologie-Ausstellung im neuen Foyer und die „Verschwindenen Vermächtnisse“ um die Wälder des Alfred Russel Wallace, so hoffen wir, werden den Besuchern neue Perspektiven auf unseren Umgang mit der Natur entdecken lassen.