Kurz erklärt...Entenvögel in Utah als Ur-Reservoir für die „Spanische Grippe“?
30. April 2020
Foto: UHH/CeNak, Gerisch
In der Ausstellung des Zoologischen Museums sind zwei Ringelgänse zu sehen, die aus Amrum und Dithmarschen stammen (um 1960). Auch Ringelgänse sind nachweislich Überträgerinnen von Grippeviren.
Welche Rolle haben Entenvögel bei der Ausbreitung von Pandemien wie der „Spanischen Grippe“ (1916/1918) oder der Vogelgrippe H5N1 gespielt? Thomas Tietze, Leiter der Ornithologie am CeNak, rekonstruiert den nicht immer geradlinigen Weg von Zoonosen, die von Vögeln übertragen wurden. Auch das Hausschwein spielt dabei eine Rolle.
Enten und andere Wasservögel gerieten unlängst im Zusammenhang mit der Vogelgrippe H5N1 in den Fokus – nicht zuletzt, weil die Hausente nach dem Haushuhn die wirtschaftlich wichtigste Vogelart für den Menschen ist. Vögel spielten jedoch schon früher eine Rolle bei Zoonosen: Schon das Virus, das 1918 die „Mutter aller Pandemien“, die „spanische“ Grippe H1N1, ausgelöst hat, könnte als Zoonose – auf Umwegen – von Mitgliedern der Entenfamilie stammen. (Der Hamburger Regisseur Peter Fleischmann hat 1978 einen Film über diese Pandemie gedreht, die mit ca. 50 Millionen mehr Menschen direkt getötet hat als beide Weltkriege zusammen.)
Zu diesen Anatiden gehört auch die Ringelgans (Branta bernicla), die nachweislich Überträgerin von Grippeviren ist. Das Virus aus der nordamerikanischen Ringelgans ist jedoch näher mit anderen, auch heutigen, Vogelgrippeviren verwandt als mit Grippeviren von Säugetieren einschließlich der „Spanischen Grippe“. Also muss schon vor mehr als hundert Jahren das Vogelvirus mutiert sein und über einen anderen Wirt, wahrscheinlich das Hausschwein, auf den Menschen übergesprungen sein.
Das finale Virus des Typs H1N1 wurde erstmals im März 1918 in einem Ausbildungslager der US-Armee in New York und South Carolina nachgewiesen. Diese brachten es dann in den in Europa ausgebrochenen Ersten Weltkrieg, wo es sich vor allem in Kasernen und Lazaretten sehr schnell ausbreiten konnte. Da im neutralen Spanien eine krankheitsbedingte Schwächung der Bevölkerung nicht der politischen Zensur unterlag, wurde dieses Land vermeintlich zum (namentlichen) Ursprung dieser gefährlichen Grippeform.
Für die Erforschung von Zoonosen ist es wichtig, dass scheinbar (aktuell) unwichtiges naturkundliches Material dauerhaft so konserviert wird, dass es in der Zukunft selbst heute unbekannten Analysemethoden zur Verfügung steht. So wurde ein Exemplar der Ringelgans am 9. 9. 1917 von Dr. G. D. Hanna auf St. Paul Island, Pribilof Islands, Alaska, USA, gesammelt und in Alkohol aufbewahrt (Vogel 226278 im National Museum of Natural History, Washington, D. C.). Erst vor etwa zwei Jahrzehnten haben Virologinnen und Virologen aus diesem Museumsexemplar ein Grippevirus sequenzieren können.
Kontakt
Dr. Dieter Thomas Tietze
Abteilungsleiter, Abt. Ornithologie
Centrum für Naturkunde
Universität Hamburg
Tel.: +49 40 42 838-2306
E-Mail: Thomas.Tietze"AT"uni-hamburg.de