Eine flexible Antwort auf die Umwelt – Vom harten Leben weicher TierePoecilogonie bei Meeresschneckenart nachgewiesen
11. August 2020
Foto: UHH/CeNak, Wiggering
Rasterelektromenenmikrospoische Aufnahme eines <0.5mm großen Planaxis sulcatus Jungtiers aus dem Oman (ZMB 107849).
Je besser sich Tiere und Pflanzen an jeweils örtliche Gegebenheiten anpassen, desto größer sind ihre Überlebenschancen in Zeiten des rasanten Wandels. Eine kleine Meeresschnecke ist dabei auf einen im Tierreich ungewöhnlichen Trick gekommen: sie beherrscht gleich zwei verschiedene Fortpflanzungs-Strategien. Mancherorts sind die Nachkommen der Meeresschnecke Planaxis sulcatus bei der Geburt schon recht groß, während anderenorts viele kleinere Larven ins Meer entlassen werden, die sich dann selbständig von Plankton ernähren. Könnte es sich dabei nicht um unterschiedliche Arten handeln? „Nein“ – sagt das Forscherteam um Benedikt Wiggering und Matthias Glaubrecht vom Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg. Sie haben dieses biologische Phänomen genauer untersucht und festgestellt, dass die geographische Herkunft der Schnecken und die dort herrschenden Umweltbedingungen entscheidend für die Weichenstellung bei der Entwicklung des Nachwuchses sind.
Tiere, die ausgewachsen äußerlich kaum voneinander zu unterscheiden sind, könnten eine ganz unterschiedliche Entwicklung durchlaufen haben: Dieses äußerst seltene Phänomen wird Poecilogonie genannt und kommt ausschließlich bei einigen wenigen wirbellosen Meerestieren, wie etwa Mollusken und Meereswürmern, vor. Die lebendgebärende Meeresschnecke Planaxis sulcatus liefert eines dieser raren Lehrbuch-Beispiele: Während einige Nachkommen bereits als weit entwickelte Jungtiere das Licht der Unterwasserwelt erblicken und sogar über ein jugendliches Schneckenhaus verfügen, werden andere noch als schwimmende Larven in die Meeresströmung entlassen, wo sie sich von Plankton ernähren.
CeNak-Direktor Matthias Glaubrecht und Initiator der vorliegenden Studie dazu: „Wie viele andere Organismen, leben auch diese Schnecken von der Vielfalt. Diversität ist gleichsam das Geheimrezept der Evolution. Und unsere Schnecken machen das geradezu lehrbuchhaft“.
In früheren Studien konnten bereits unterschiedliche Fortpflanzungsweisen bei weit voneinander entfernten Populationen der Meeresschnecken im Persischen Golf sowie in Neuseeland beobachtet werden. Ohne weitere Belege und eingehende Studien blieb das Phänomen jedoch bislang wissenschaftlich schwer einzuordnen. Ein Team um Matthias Glaubrecht sowie dem wissenschaftlichen Mitarbeiter und Doktoranden in der CeNak-Abteilung Biodiversität der Tiere Benedikt hat nun die jeweiligen Brutstrategien der Schneckenart Planaxis sulcatus und die jeweiligen Brutstrategien untersucht. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im Fachmagazin „BMC Evolutionary Biology“ veröffentlicht.
Für die Untersuchung wurden Tiere aus insgesamt 71 Populationen analysiert, die aus fünf verschiedenen Regionen des Indik und westlichen Pazifiks stammen und erstmals die gesamte Verbreitung der Art abdecken – vom Südwesten des Indischen Ozeans, dem Roten Meer, dem Norden des Westindischen Ozeans, dem Nördlichen Indo-West-Pazifik sowie der nördlichen Küste Australiens. Das Team hat über Jahre hinweg Schnecken bei Expeditionen, etwa an der ostafrikanischen Küste, in Thailand, Indonesien und Australien selbst gesammelt; die übrigen Proben stammen aus naturkundlichen Sammlungen großer Museen weltweit.
Die Forschenden untersuchten die Brutbeutel von insgesamt 365 Schnecken, um die Größe der darin enthaltenen Larven sowie Jungtiere zu messen. Hierbei stellten sie fest, dass sich die Entwicklungsstadien der heranwachsenden Tiere je nach Region stark voneinander unterscheiden: Während im Westen auch große Nachkommen – bereits bis zu 1,5 Millimeter groß – zu finden waren, befanden sich sämtliche Nachkommen im Osten der Stichprobe in einer frühen Entwicklungsphase.
Einige der Populationen der Planaxis sulcatus sind geographisch weit entfernt voneinander angesiedelt. Um sicher zu stellen, dass es sich bei den Tieren nicht um unterschiedliche Arten oder gar eine Gruppe kryptischer Arten handelt – eine Hypothese, die in der Vergangenheit Zweifel am Vorhandensein von Poecilogonie bei dieser Schneckenart gesät hat – haben die CeNak-Forschenden Fragmente der Erbsubstanz (DNA) aus den Mitochondrien einzelner Individuen sequenziert. Bei der Untersuchung kam heraus, dass sich zwar drei Gruppen molekulargenetisch unterscheiden lassen. „Doch unsere Daten legen nahe, dass es sich nicht um zwischenartliche, sondern um innerartliche Unterschiede handelt“, erläutert Benedikt Wiggering. Damit sprechen die Befunde dafür, dass es sich bei Planaxis sulcatus tatsächlich um ein Lehrbuchbeispiel für Poecilogonie handelt.
Für dieses abweichende Heranwachsen der Tiere dürften die unterschiedlichen Umweltbedingungen der jeweiligen Regionen verantwortlich sein, vermutet Benedikt Wiggering: „Es ist gut möglich, dass beispielweise der höhere Salzgehalt des Meeres im Westindischen Ozean dazu geführt hat, dass die Nachkommen dort von ihren Müttern länger im Brutbeutel geschützt werden. Hingegen können Larven durch die geringere Salinität im Indo-Pazifik schon früher eigenständig überleben. Ganz genau werden wir das aber erst wissen, wenn künftig experimentelle Untersuchungen an lebenden Schnecken durchgeführt würden“.
Kontakt
Prof. Dr. Matthias Glaubrecht
Direktor
Centrum für Naturkunde
Martin-Luther-King-Platz 3
20146 Hamburg
E-Mail: matthias.glaubrecht"AT"uni-hamburg.de
Benedikt Wiggering
Wiss. Mitarbeiter Biodiversität der Tiere
Centrum für Naturkunde
Martin-Luther-King-Platz 3
20146 Hamburg
E-Mail: benedikt.wiggering"AT"uni-hamburg.de
Weiterführende Informationen
CeNak-Abteilung Biodiversität der Tiere