Klimawandel hat menschliche Evolution anders beeinflusst als bisher angenommen
25. Mai 2020
Foto: UHH/CeNak, Kaiser; National Museum and House of Culture, Daressalaam
Der Unterkieferknochen Peninj 1 vom Natronsee (Tansania) ist erstaunlich robust und gehört zu den besterhaltenen Fossilien, die man von der Vormenschenart Paranthropus boisei kennt. Trotzdem hatte sein Besitzer vor 1,5 Millionen Jahren keine besondere Vorliebe für harte Savannennahrung.
Die Nahrung menschlicher Vorfahren verrät normalerweise viel über die Umwelt, in der sie lebten. Auch der Klimawandel vor 2,8 Millionen Jahren müsste seine Spuren hinterlassen haben, denn zu dieser Zeit taucht unsere Gattung Homo erstmals im Fossilbericht auf. Bei anderen Menschenartigen, die zur gleichen Zeit lebten, nahm man an, dass sie dem trockener werdenden Klima trotzten, indem sie sich auf hartschalige Pflanzennahrung spezialisierten und dem Menschen die ökologische Nische des Allesessers überließen. Diese Annahme stellte ein Team um Thomas Kaiser, Professor sowie Leiter der CeNak-Abteilung Mammalogie (Säugetierkunde) und Paläoanthropologie, nun in Frage. Aber wie ernährten sich unsere menschlichen Vorfahren und wie können Forschende es herausfinden?
In seiner aktuellen Studie hat Thomas Kaiser die Nahrungsvorlieben von Menschenartigen rekonstruiert. Gemeinsam mit seinem Forscherteam untersuchte er die mechanischen Eigenschaften von zwölf gut erhaltenen, fossilen Unterkiefern verschiedener Vor- sowie Früh-Menschenarten, um herauszufinden, wie hart oder weich ihre Mahlzeiten gewesen waren. Jüngst wurde die Studie, in „Nature Scientific Reports“ veröffentlicht.
Beim Anblick der robusten Unterkiefer von Australopithecinen, etwa dem „Nussknacker“ Paranthropus boisei, glaubten Forschende bislang, dass es sich bei dieser Art um Esser harter Nahrung handeln müsse, da sie die größten Zähne und kräftigsten Kaumuskeln aller Vormenschen aufwiesen. Wofür, wenn nicht zum Kauen harter Nahrung? – so lautete bislang die naheliegende Schlussfolgerung. War aber der Paranthropus boisei wirklich ein Nussknacker? In mehreren Schritten untersuchte das Team zwölf gut erhaltene fossile Unterkieferknochen, um diese Frage zu beantworten.
Zunächst starteten sie mit einer morphometrischen Analyse der Unterkieferfossilen. Dazu werden die Objekte fotografiert und die Umrisslinien anschließend digitalisiert und in ein eigens dafür entwickeltes Koordinatensystem übertragen. Aus der Abweichung, die sich ergibt, wenn im Computer die Abstände korrespondierender Oberflächenpunkte verglichen werden, lassen sich Kenngrößen für eine Form-Ähnlichkeit errechnen.
Als Referenz kamen weitere 30 Modelle verschiedener Affenarten hinzu, auch von Menschenaffen, von denen Biologinnen und Biologen genau wissen, ob sie harte Nahrung fressen oder sie vermeiden. Im direkten Vergleich konnte schließlich ermittelt werden, an welcher Position im Koordinatensystem die Kieferknochen der Vor- und Frühmenschen zusammen mit den anderen Affenarten erscheinen und somit, welcher Kieferaufbau der menschlichen Vorfahren mechanisch für welche Nahrung am besten geeignet war.
Zusätzlich wurde die „Methode der Finiten Elemente“ eingesetzt. Hierbei haben die Forscher das natürliche Zubeißen simuliert, wozu zunächst die Kraftverläufe der Kaumuskulatur nachmodelliert werden mussten. Dann wurden die Kiefer virtuell belastet, indem an vier Stellen im Gebiss ein Zahnkontakt mit einem harten Nahrungsteilchen simuliert wurde. Harte Nahrung führt immer zu größeren Zugspannungen in den Kieferknochen, diese Materialspannungen wurden schließlich in einem Index zusammengefasst, um sie direkt miteinander vergleichen zu können.
Sämtliche Untersuchungen führten die Forscher zu dem verblüffenden Ergebnis: der Paranthropus boisei aß keine harte Nahrung – trotz seiner massiven Kieferknochen. Bei keinem anderen Vormenschen in dieser Studie waren diese Ergebnisse so eindeutig abweichend von dem bisherigen Kenntnisstand. Spätere Menschenarten entpuppten sich hingegen überwiegend als Nahrungsgeneralisten, die auf keine bestimmte Konsistenz festgelegt waren. Einzig beim asiatischen Homo erectus aus China zeichnete sich eine Tendenz zur harten Nahrung ab.
Die Studie bietet eine wichtige Grundlage für die Evolutionsforschung an Menschenarten, die etwa zwischen einer halben und 3,5 Millionen Jahre alt sind und fordert bisherige Hypothesen zum Effekt des Klimawandels auf unsere Evolution heraus. Sie liefert neue Erkenntnisse darüber, warum sich die evolutiven Wege einiger Vor- und Frühmenschen vor mehr als zwei Millionen Jahren, als der Klimawandel Afrika trockener werden ließ, trennten.
Weitere Informationen
- CeNak-Abteilung Mammalogie / Paläoanthropologie
- Broad-scale morpho-functional traits of the mandible suggest no hard food adaptation in the hominin lineage; Jordi Marcé-Nogué, Thomas A. Püschel, Alexander Daasch & Thomas M. Kaiser.
Kontakt
Prof. Dr. Thomas M. Kaiser
Abteilungsleiter Mammalogie / Paläoanthropologie
Centrum für Naturkunde
Universität Hamburg
Tel. +49 40 42 838-7653
E-Mail: Thomas.Kaiser"AT"uni-hamburg.de